Tiergeschichten

Wolfsgeschichten

 

                                                                                                                                     
                                                                                                                                          Der Wolf kehrt zurück





 
                             










Ohne den Wolf gäbe es unsere Hunde, die wir angeblich so lieben, nicht.
Wer urwüchsige, unverfälschte Hunde kennt, weiß wie viel Wolf in ihnen steckt.



Eine unheimliche Begegnung

Seit zwei Jahrzehnten ist die Camargue meine zweite Heimat. Ich erlebe hier eine Welt, die ich vorher nicht kannte, eine archaische unberührte Natur und Menschen, die auf weißen Pferden schwarze  Stiere vor sich her treiben und noch an das Unheimliche und an Wunder glauben. Hier wird keiner die Begegnung  mit einem Wolf hinterfragen.

 


Die Frühlingssonne in der Camargue ist weich und warm. Ich saß auf einem Baumstumpf im Bois de Boucanet, eine wilde Landschaft mit Hecken und Sandwiesen, die zu dieser Jahreszeit auch tagsüber vom Wettgesang der Nachtigallen erfüllt war und döste vor mich hin. Man könnte meinen, in jedem kleinen Strauch hat sich ein trillernder Sänger positioniert.
 Meine drei Setter, Hazel,Bisou und Jela lagen träge in meiner Nähe. Das Bad im angrenzenden See hat sie müde gemacht. Sogar die kleine Jela hat es aufgegeben ein Kaninchen zu finden.
Plötzlich wurden sie unruhig, mein Rüde Hazel richtete sich auf und seine Tochter Bisou begann zu winseln.

Ein kurzes, tiefes Heulen, wie es unser alter Rüde Feu (das Feuer) vor vielen, vielen Jahren von sich gab, wenn die Kirchenglocken läuteten, kam ganz aus der Nähe.

Und plötzlich stand er vor mir, ein  stattlicher alter Wolf mit weißgrauem Fell und wachen Augen.
Der friedliche Hazel versuchte ihn zu besänftigen, indem er sich ihm vorsichtig wedelnd näherte.
Bisou und Jela wirkten verunsichert und suchten bei mir Schutz.
Ich blieb regungslos und versuchte seinem Blick auszuweichen.
Der Wolf legte sich vor mich hin,kreuzte die Vorderpfoten und betrachtete mich lange.
Und plötzlich glaubte ich sein friedliches Knurren zu verstehen:

„Du verstehst uns Mensch, man sagt, du kennst uns besser als jeder andere. Sag diesen kindlichen Wölfen, die bei dir Schutz suchen, sie müssen sich vor mir nicht fürchten. Sie sind ein Teil von mir, besonders die Kleine, sie ist stolz und kann meinem Blick standhalten.“

„Was willst Du Wolf?“, fragte ich. Aber ich lese seine Worte aus seinen Augen, es sind gütige Augen, die ich von meinen Hunden schon eine Ewigkeit kenne und deren Sprache ich verstehe.
„Ich bin zurückgekehrt, weil sie meine Kinder töten wollen. Ich will mit den Menschen sprechen. Sie waren immer  meine Freunde, bitte hilf mir. Jahrtausende haben wir zusammen gejagt. Wir Wölfe haben uns aus freien Stücken zu den Jägern gesellt, das Lager und die Beute mit ihnen geteilt und jetzt richten sie ihre Gewehre auf uns, nur weil einige halbstarke Jungwölfe, aus Hunger ein Lamm oder eine Ziege gerissen haben. Bring mich zu diesen Menschen und spreche für mich. Hilf mir die Welt meiner Nachkommen, die ihr Hunde nennt, zu verstehen und hilf mir diese neue Welt zu verstehen, wo es keinen Platz mehr für den alten Wolf geben soll. “
„Ich kann es versuchen Wolf, aber es wird schwer sein, denn du hast wenige Freunde und viele Feinde und die alten Märchen vom bösen Wolf werden wieder und wieder aufgewärmt und Angst wird geschürt und die, die dich beschützen wollen, kennen dich nicht. Vielleicht bist du hier am falschen Ort. In Italien würdest du bestimmt mehr Gehör finden. Die Italiener lieben und verehren Euch, weil ihr Wölfe die Königskinder gesäugt habt.
Aber nun bist mal hier.
Das Leben der Hunde–Wölfe kann ich Dir zeigen, aber Du wirst enttäuscht und traurig sein, wenn Du siehst, was dein Jagdfreund Mensch aus Ihnen gemacht hat. Überlege es dir gut.“

Doch der Blick von Bisou sagt mir, dass ich es tun muss, denn der alte Wolf hat ein Recht, die Wahrheit zu erfahren.
„Also gut sagte ich, du wirst in der menschlichen Zivilisation nicht gleich auffallen, der Mensch versucht neuerdings dein Äußeres durch Zucht „nachzuäffen“ und es gibt Hunderassen, die dir ähnlich sind, sei also in der Öffentlichkeit devot und folgsam, wie es sich für einen anständigen Hund gehört.“

„Bring mich in die Alpen nach Mercantour, ich möchte den alten Schäfer Silvano treffen und Abbitte leisten.  Wenn es Wölfe waren, die seine Herde in die Schlucht getrieben haben, war das ein sinnloses Töten“, sagte er.




In den folgenden Geschichten vermitteln wir dem alten Urwolf  einen Eindruck von der Welt des Hundes (Canis lupus familaris) mit all ihren Kontrasten, mit seinen fürsorglich vom Menschen betreuten Nachfahren,  aber auch mit den  erbärmlichen Geschöpfen, den Gequälten, die unter der Hochmut und  Profitgier  des Menschen leiden.
Vor  Tausenden Jahren, in einer rauen Zeit, schlossen die beiden klugen Jäger Mensch und Wolf ein Bündnis, denn gemeinsam konnten sie erfolgreicher sein.
Hat diese Verbindung bei unseren Jagdhunden noch Bestand oder braucht der Mensch seinen einstigen Gefährten nur zur Selbstdarstellung?
Begleiten wir in dieser Geschichte den alten Wolf der Wölfe  in eine für ihn heute fremde Welt, die keine Gnade kennt und den Wolf  auf die Abschussliste gesetzt hat.



Lieber Leser, bitte habe Mut und folge uns.



 

 

 

 

Mercantur, ein Dorf in den französischen Alpen

 

Unten an der Küste eine glamouröse mondäne Welt mit Luxusjachten und  oben das Ursprüngliche, die  Bergwelt mit einer grandiosen Natur und ihren fast vergessenen Menschen und ein Zufluchtsort der letzten  Wölfe.





 


Wir fuhren über Nizza in die französischen Alpen.Diese heitere Stadt mit so viel Luxus und Flair ist mir seit dem islamistischen Terroranschlag fremd geworden. Auch die Menschen sind nicht mehr die gleichen. Misstrauisch beäugen sie sogar den stattlichen " Hund".
„Fast wie ein Wolf, nur nicht so böse“, sagte eine alte braungebrannte Dame und zog ihren  frisierten neugierigen Pudel an der Leine davon.
Am folgenden Tag erreichten wir nach einigen Stunden Fahrt den Nationalpark Mercantour.
Tief bewegt nahm der alte Wolf diese herrliche Landschaft mit seinen Augen und Nüstern auf. Diese steilen Hänge zwischen schroffen Felsen, dazwischen Wiesen mit Wildblumen und das Rauschen eines Wasserfalls.
„Siehst du, so hat alles angefangen, das ist unsere ursprüngliche Heimat.  Und auf den zahlreichen Felszeichnungen der Steinzeit gibt es bestimmt  neben den vielen Menschen und Weidetieren auch den Wolf, wahrscheinlich verblasst durch Wind und Regen, aber  er war immer hier. Die Menschen von hier werden mich wieder erkennen.“So oder so ähnlich sprach der alte Wolf.
In einer menschenleeren Gegend machten wir einen ausgiebigen Spaziergang und Jela konnte endlich toben und mit Bisou zusammen mangels Rothühnern Wasseramseln vorstehen, während Hazel etwas erschöpft wieder ins Auto sprang, um sich auszuruhen. Der Wolf fand am anschließenden heiteren Spiel der beiden Gefallen. Etwas traurig brummte er vor sich hin:
„Sie werden nie erwachsen eure Hunde–Wölfe, sie kennen nicht die Mühen des Lebens, sie sind sorglose Wolfskinder geblieben.
Um einerseits kein mürrischer Spielverderber zu sein und anderseits von der Lebensfreude der beiden jungen Hündinnen zum Mitmachen angesteckt, führte er den beiden altbekannte Anschleichtechniken im hohen Gestrüpp vor, warf sich auf den Rücken und wälzte sich im hohen Gras.

Plötzlich zerriss ein dumpfer Flintenschuss die Stille,es folgte ein Schrei:

„Der Mörder–Wolf ist zurück, er wird unsere Schafe töten und auch deine Hunde“, rief eine heisere Stimme von einem Felsvorsprung.
„Ich rufe die Jäger aus dem Dorf zusammen, bleib du in deinem Wagen“, rief er mir zu und verschwand.Die Verbindung zwischen mir und dem Wolf war ihm scheinbar entgangen. Wahrscheinlich konnte er sie sich gar nicht vorstellen, da sie nicht in sein Weltbild passte.
Jetzt war Eile geboten, diese Sprache war deutlich. Auch die Hunde waren aufgeschreckt und diesmal war kein Pfeifen nötig. Sie waren bereits im Auto.
Auch der Wolf hatte  instinktiv den Ernst der Lage verstanden und lag schon auf dem Rücksitz. So schnell es ging erreichten wir über einen Schotterweg die Bundesstraße.
Es war Abend geworden. In einem kleinen Supermarkt im Dorf wollte ich noch Getränke für die Rückreise kaufen.
Die Geschichte von den vom Wolf angeblich getöteten Jagdhunden hatte sich in verschiedenen Varianten in dem kleinen Gebirgsdorf  herumgesprochen.
Ich musste alle Neugierigen zuerst beruhigen und ihnen versichern, dass es den Hunden gut ginge und als Beweis für ihr Wohlbefinden nahm ich sie aus dem Auto (der Wolf blieb auf dem Rücksitz gekauert liegenund ließ sich sogar mit einer Decke abschirmen).
Bisou genoss die Streicheleinheiten der Menschen und ich hörte immer wieder, dass dies ausgezeichnete Jagdhunde wären, besonders für die Schnepfenjagd.Ich wagte nicht zu sagen, dass Schnepfen eine vom Aussterben bedrohte Vogelart sind und dass aus meiner Sicht die Schnepfenjagd ein "Verbrechen" sei.
Es waren freundliche Menschen, die mich in die Dorfbar zogen und jeder gab seine Geschichte über einen getöteten Wolf zum Besten.
Scheinbar wirkte ich von den Geschichten nicht überzeugt, da  mich ein junger stämmiger Bursche fragte, ob ich sein Wolfsfell, das er an einer Holzwand zum Trocknen aufgespannt habe, sehen wolle.
Es sind fröhliche Hirten, die, wenn sie einige Gläser Pastis intus haben, aber nachdenklich werden. Der  Konkurrenz der Großbetriebe für Milchprodukte sind sie nicht gewachsen, die billigen Fleischimporte aus Neuseeland lassen ihnen kaum Luft zum Atmen.
Ich begriff, dass diese Menschen, denen im Leben nichts geschenkt wird, die nicht Teil der mondänen Welt Mittelmeerküste sind, nur einen Besitz haben - ihre Schafherden und da, von der Welt vergessen, einen Schuldigen brauchen und das ist der  Wolf.
Jede Vermittlung wäre zwecklos.
Ein uralter Mann mit schneeweißem Haar und gelben Zähnen, den niemand beachtete, saß  in sich versunken am Rande des Tisches und murmelte in sein Glas immer die gleichen Worte: „Man kann es nicht ändern, so ist das Leben“.
Als ich ging, raunte er mir zu: Er ist hier ganz in der Nähe, ich fühle ihn, du musst ihn sicher hier weg bringen, sie werden ihn töten, sie brauchen einen Feind.“
Nach einigen Gläsern von dem milchigen Kräuterschnaps war an Rückfahrt nicht mehr zu denken.
Wir schliefen im Auto und als die Sonne langsam hinter den Felsen hervorkroch, gab ich dem Wolf zu verstehen, dass er sich verabschieden müsse.
Wir waren allein umringt von der gewaltigen Natur. Im Schatten der Felsen gingen wir bis zu einer Anhöhe.
Der alte Wolf stand majestätisch im Licht der aufgehenden Sonne, sein Hals wurde straff, er hob seinen Kopf und ein Jaulen, das durch Mark und Bein ging, erfüllte das Tal, prallte an die Felsmauern und wurde mit Kraft zurückgeschleudert.
Und plötzlich antworteten einige Jungwölfe aus einer tiefen Schlucht.
„Du kannst ihnen nicht helfen, du wirst ihnen Mut machen, sie werden aus ihrem Versteck kommen und sterben. Wir müssen weg“, sagte ich.
Er folgte mir ohne Widerspruch, er wusste, er hatte verloren.
Als wir die Schnellstraße erreichten und außer Gefahr waren, richtete er sich auf: „Hier ist kein Platz mehr für mich. Sie hätten keine Lämmer töten dürfen, hier gibt es genug altersschwache Hirsche und Gämsen. Sie hätten keine Lämmer töten dürfen.
Das Lamm ist euch heilig, es ist das Lamm Gottes, das euch von Sünden befreit“.
Er tat mir Leid und ich machte meinem Unmut Luft:
„Und warum werden jährlich 600.000 dieser Lämmer Gottes von australischen Reedereien auf verschmutzten, überhitzten, überfüllten Schiffen auf eine Reise um den Erdball in den Tod geschickt, um elend unter der Hand eines Schächters zu verbluten?
Wo ist unser Gott, der seine Lämmer schützt vor religiösem Irrglauben?
Der Mensch ist das wirklich Böse.

Den Rest der Fahrt war Schweigen. Bisou wurde die Stille unheimlich und sie begann zu winseln.
Den Abend verbrachten wir in einer menschenleeren Bucht am Meer. Es war eine Stelle, die ich als junger Mann zufällig entdeckte. Es war damals für mich ein Ort für die Ewigkeit, umrahmt von grünen Felsen. Klares grünliches Wasser und sonst nichts.
Die silbernen Strahlen der Abendsonne glitten kegelförmig auf uns zu und verfingen sich im hellgrauen Fell des Wolfes. Wasser, Sonne und Tier zerflossen im Nichts.
„Lass uns in meine Welt nach Deutschland zurückkehren Wolf, dahin wo Bisou und Jela geboren wurden oder in Hazels Heimat nach Schweden, wo die Menschen ausgeglichen und freundlich sind. Du wirst die Welt der Hunde–Wölfe kennenlernen und feststellen, dass du auch in ihnen weiterlebst. Du wirst sehen, dass sie fröhlich sind und  es ihnen an nichts fehlt. Ich werde dir  spielende Welpen zeigen, die sich vor keiner Flinte fürchten müssen. Auch sie stammen alle von dir ab.  Morgen früh brechen wir auf“.
Der Wolf sah mich als wollte er sagen:“ Ich möchte deinen Worten Glauben schenken“.
Und ich dachte mir: "Hoffentlich habe ich dir nicht zu viel versprochen, alter weiser Wolf."
Die Fahrt durch das Jura mit kleinen Zwischenstopps war recht eintönig. Wir fuhren durch die Vogesen und den Schwarzwald entlang. Wildbrücken zum Schutz des Reh-und Rotwildes die Autobahn entlang, alles Gebiete, wo er einst auch zu Hause war. Der Wolf wirkte alt und müde.






Schein und Sein in unserer Hundewelt

 

Eine Zuchtstätte für Jagdhunde

 

 

 

Eine Begegnung mit spielenden, unbeschwerten Hundewelpen sollte dem alten Wolf veranschaulichen, dass seine Nachfahren, immer noch die Freundschaft des Menschen genießen.
Vielleicht hatte ich aber nur den falschen Ort ausgesucht. Hundezucht ist nicht immer nur Liebhaberei sondern oft auch ein Geschäft. Ein kurzer Einblick kann für den Menschen aber auch für den Wolf ernüchternd sein. Bilder  über tollpatschige Wolfswelpen in freier Natur  weichen der Realität beim Anblick der Hundewelpen hinter Gitterstäben. Sind das noch die Nachfahren der stolzen Wölfe?

 

 


Wir wurden von vielen neugierigen Hundeaugen an einem Gartenzaun empfangen, die alle den Wolf musterten und sofort in ein Winseln ausbrachen und versuchten durch die Zaunelemente seine Lefzen zu lecken, als Zeichen der Achtung und Anerkennung, so als wollten sie sagen, „du gehörst zu uns, wir haben dich wiedererkannt.“
Leider schlug uns im Garten ein übler Geruch von Kot und Urin  entgegen.
Der Wohnbereich der Menschen, eine Mischung aus Kitsch und Nonchalance, war gepflegt und gemütlich.
Peinlich wurde es, als uns klar gemacht wurde, dass  „dieser ungepflegte alte Köter“, gemeint war der alte Wolf, hier in der Wohnung nichts verloren hätte, da die anderen Hunde sich auch mit dem Garten zufrieden geben müssten.
Ich leistete sehr viel Überzeugungsarbeit und erreichte, dass der Wolf sich neben eine alte Setter Hündin, die in der Ecke des Raumes einen Platz hatte,

legen durfte. Diese genoss als einziger Vierbeiner das Privileg hier zu verweilen. Sie sah abwechselnd den Wolf und dann mich mit  ihren braunen, weisen Augen an:
-„Urteilt nicht so schnell, sie lassen mich hier in Frieden alt werden und ich bin die einzige, die, da mich Frauchen mag, im Warmen den kalten Winter überstehen darf. Manchmal besuche ich meine  Enkelwelpen und erzähle ihnen Phantasiegeschichten von satten grünen Wiesen,  die ich als junger Hund mit meinem Vater durchqueren durfte.
Manchmal auch gaukle ich den Kleinen vor, dass sie bald ein Zuhause finden werden mit vielen freundlichen Menschen mit warmen Händen, die sie streicheln.“
Sie war in dem Alter, von dem ich wirklich glaube, dass Hunde uns besser kennen, als wir uns selbst, dass sie sogar unseren Gedanken voraus sind und wissen was wir in naher Zukunft tun werden.
Der Wolf hörte kaum zu, sein Blick haftet an einigen spitzen langen Hörnern an der Wand.
Er kannte die Gefahr, die von ihnen ausging.
Ich versuchte ihn zu beruhigen: „Keine Angst, diese Tiere gibt es hier nicht, diese Hörner stammen von einer Jagdreise. Menschen sammeln so etwas und hängen es an die Wand, wenn sie ein Tier erlegt haben.“
Der Wolf sah mich ernst an, als wollte er sagen: -„Mit welchem Recht?“
In zwei Flugkäfigen saßen die Setter Welpen. Zwei kleine Hündchen saßen auf dem Arm von zwei Frauen, die mit der Absicht kamen, einen Welpen zu kaufen. Sie streichelten die Kleinen  liebevoll. Anschließend wurden diese auf den Tisch gestellt und begutachtet. Ich wünschte mir für die zwei Welpen mit den Engelaugen, dass die beiden Damen bereit sind, den „saftigen“ Kaufpreis zu bezahlen, damit die Kleinen bald ein neues Zuhause haben.
Die anderen Hunde standen im Garten und drückten sich die Nase an der Glastür platt.
Der Wolf sah mich verzweifelt an:
-„Warum dürfen die Kleinen nicht spielen und draußen im Gras herumtollen? Du sagtest Welpen sind kleine Wölfe, sie müssen Erfahrungen sammeln, Maikäfer und Amseln jagen, versuchen Beute zu machen oder einfach müde in der Sonne dösen.
Ich habe gedacht dieser Mensch ist ein  Freund zu dem diese Wolfskinder Vertrauen haben. Warum nimmt er sie nicht mit in die Felder und zeigt ihnen die Welt. Warum fürchten sie ihn?“
Ich versuchte ihn abzulenken, ich erzählte ihm auch  von meinem Freund K. der zwei Würfe kleine, wilde Bengel großzog und sie zu selbstbewussten starken Jägern  machte.
Die  alten Hunde pflegte er wie einen lieben Menschen.     
Meine stillen Ausführungen wurden durch ein erbärmliches Jaulen beendet.
Ein Welpe wurde am Genick aus einer Flugbox, die im Raum stand, herausgezogen und auf den langen Tisch gestellt. Die anderen verkrochen sich im letzten Winkel des Käfigs.Der Kleine winselt, seine Augen suchten verzweifelt nach Hilfe.Sein ängstlicher Blick traf den des alten Wolfes. 
Ein fürchterliches, tiefes Jaulen schallte plötzlich durch den Raum.
Der Wolf richtete sich auf und zum ersten Mal sah ich seine großen Eckzähne. Er war zu allem bereit.
Es brach Hysterie aus. Eine schrille Frauenstimme schrie: „das Untier muss raus !“
Schnell verließ ich den Raum und der Wolf folgte mir zum Auto.
Ich habe gedacht, er würde mir Vorwürfe machen. Er schloss die Augen, vergrub den Kopf zwischen seinen Pfoten und schwieg.
Zu Hause angekommen suchte er sich  im  Garten einen stillen  Platz unter dem Kirschbaum und baute sich aus trockenem Holz und Blätter ein Lager. Er gab mir zu verstehen, dass er die Nacht allein verbringen möchte. Ich respektierte seinen Wunsch. Nur Jela war unschlüssig, ob sie draußen bei dem alten Wolf bleiben solle. Sie entschied sich aber am Ende doch für ihren Hundekorb.
                                                              


(Das Foto als Demonstration für diese unwürdige Zuchtstätte vorgesehen, werde ich Ihnen vorenthalten.)





 
Hundefamilie im  Lippetal

 

Manchmal aber gibt es diese heile Hundewelt. Mensch und Hund als Einheit und übermütige, glückliche Hundewelpen, die fröhlich im Garten toben.





Um beim Wolf das vorangegangene, wenig erfreuliche Erlebnis auszugleichen, kam ich zu dem Entschluss, dass ein Besuch bei Hazels Kindern im Lippetal das Richtige wäre.
Die Fahrt war eintönig, ein Regenguss löste den nächsten ab, ein Stau auf der Autobahn folgte dem anderen. Am frühen Nachmittag erreichten wir etwas müde von der anstrengenden Fahrt unser Ziel.
Wir betraten ein geräumiges Wohnzimmer am Ortsrand eines Dorfes  und alle Strapazen waren vergessen:
Ein riesiger Welpenauslauf mit sauberen Decken und wahrscheinlich mit  mehr Spielzeug als flauschige  Hundekinder, die im Mittagsschlaf vor sich hin grunzten. In einem Nebenraum war „Erwachsenenspielstunde“, die mit einer Staubsaugeraktion endete. Ein Teil der Haarpracht „ zierte“ nämlich den Teppich.
Der alte Wolf war plötzlich verschwunden. Er hatte wohl kein Bedürfnis wieder bei fremden Menschen anzuecken und deshalb wollte er sich scheinbar zuerst aus der Ferne einen "Einblick" verschaffen.
Die Tür zu einem  geräumigen Garten mit angrenzender Wiese wurde geöffnet und die Welpenschar stürzte voller Begeisterung ins Freie.
Nun sah ich den Wolf wieder, er lag am Gartenzaun in einem angrenzenden Rübenfeld und verfolgte mit wachen Augen das Spiel der Kleinen. Seine Ohren hoben und senkten, seine Nüstern zogen den Duft der Kleinen gierig ein. Wenn ihm ein übermütiger „Kämpfer“ etwas näher kam bewegte sich instinktiv seine Rute.
 Hazel ergötzte sich am Toben der Hundekinder, er ließ es sich nicht nehmen sie „zu begutachten“ und ausgiebig zu  beschnuppern.
Meine Blicke trafen die des Wolfes und ich glaubte etwas wie Dankbarkeit zu erkennen. Das war eine Welt, die ihm, aber auch mir gut tat. Er ignorierte, genau wie Hazel, den Ruf des Fasanengockels aus dem nahen Gestrüpp, dem der ungebetene, fremde Gast bestimmt unheimlich war.
Später kamen Bisou und Jela dazu und alle spielten ausgelassen auf der Wiese.
Nach einer „Jagd“ nach Amseln, Stoffhasen und  Quietschenten  suchten die Kleinen  menschliche Wärme, um von neuen Abenteuern zu träumen.  
Zwei Frauen überhäuften die  Rabauken mit Streicheleinheiten, sie waren bemüht, den Kontakt zu ihrem zukünftigen neuen Familienmitglied zu festigen, um  den Abschied vom Rudel zu erleichtern.
Unter all den Menschen fiel mir eine blonde Frau auf, die wenig sprach und  nachdenklich wirkte. Ich bin sicher, dass auch sie die Gabe besitzt, ohne Worte die Seele eines Hundes zu berühren und seine Augen zum Sprechen zu bringen.
Ihr Blick huschte, wenn sie sich nicht beobachtet fühlte, den Gartenzaun entlang. Heute bin ich überzeugt, dass ihr der alte Wolf nicht verborgen blieb.
Als wir die Heimreise antraten, waren alle vollzählig im Auto und ich muss gestehen, dass ich sehr zufrieden war, denn  der alte Wolf konnte erleben, dass Menschen seinen Nachfahren viel Verständnis und Liebe entgegenbringen  und nur darauf kommt es an.
Er konnte aber auch sehen, dass das übermütige Spiel der  Hundekinder das gleiche ist, wie das der kleinen Wölfe schon vor tausenden Jahren. Dieses Mal nicht in den rauen Bergen, sondern in der Obhut des Menschen.

 

 

 

Show Must Go On 

 

 

Warum nur hatte Karl Lagerfeld stets eine Katze auf dem Arm und keinen Hund (Wolf) an der Leine?

         

 

                                                      
Beseelt von seiner Kreativität  ändert  der  Designer Mensch sein Modell Hund und passt es dem jeweiligen Geschmack und dem Zeitgeist an.
Hundeausstellungen,  häufig Großveranstaltungen mit Tausenden von Teilnehmern, bieten die Möglichkeit der Präsentation.
Auf einer  solchen Veranstaltung  wird der alte Wolf die Möglichkeit haben,  die gesamte Vielfalt der Halbwölfe zu erleben.  All das, was der Mensch willkürlich  durch Zuchtauswahl verändert  hat, soll er hier kennen lernen.
Viele  Halbwölfe sind glücklich, in der Symbiose mit dem Menschen zu leben, sie lieben und vergöttern ihre Besitzer. Sie genießen die Zuwendung des Menschen. In vielem sind sie uns über, denn sie sind ehrlich und unkompliziert. Sie zeigen Rückgrat, dort, wo Menschen sich verbiegen und  ihre Freunde verraten. Für Friedrich II. von Preußen waren sie „die besseren Menschen.“ Wie Recht er doch hatte.
Ich habe in der Zwischenzeit den alten Wolf besser kennen und verstehen gelernt. Seine Abneigung gegen Halbwölfe, die sich als Spielzeug des Menschen hergeben, blieb mir nicht verborgen.
Er wollte einfach nicht verstehen, dass der Hund die Selbstständigkeit des Wolfsrudels für die menschliche Familie aufgegeben hat.
Wir fuhren im Morgengrauen los. Überfüllte Straßen, hunderte Kilometer auf einer eintönigen Autobahn, Motorenlärm. 
In einem rieseigen Parkturm fuhren wir im Kreis  höher, immer höher. Ängstlich verfolgte der Wolf das Manöver. Auf der fünften Etage fanden wir einen Parkplatz.
Emsige Menschen bauten Käfige mit Rollen zusammen,  oft in Etagenform, die dann, bestückt mit Hunden, Richtung Ausstellungshallen geschoben wurden. Uniformierte Platzwarte mit strenger Miene sammelten die ersten Häufchen ein, die auf dem ganzen Gelände verteilt waren. Junge Frauen mit tätowierten Oberarmen (und wahrscheinlich noch mehr) wechselten in der Toilette ihre Jeans in Abendkleider, ein Mann mit gebräuntem freiem Oberkörper war dabei, öffentlich das passende Hemd zum entsprechenden Hund auszusuchen.
Wo waren die grünen Wiesen geblieben, die einen ausgezeichneten Rahmen für einen feierlichen Tag  gewesen wären?

Wir erreichten das Gelände. Ein gepflasterter Außenteil mit Pfützen von dem letzten Regen bot wenig Abwechslung.
Um eine Hundetoilette  aus Rindenmulch mit einem beißenden Uringeruch machten wir  einen großen Bogen.  Ströme von Menschen, bepackt mit Taschen und Faltkäfigen schoben sich nach vorne. Der  Wolf geriet in Panik. Knurrend mit gesträubtem Fell ignorierte er die Anweisung eines uniformierten Aufsehers und zog sich in ein kleines Gebüsch am Rande der Anlage zurück.
Mit viel Überredungskunst gelang es mir, ihn zu überzeugen uns nach innen zu begleiten.
„Sieh sie dir an, Wolf, denn all diese Halbwölfe  sind ein Teil von dir. Ohne dich hätte es sie nie gegeben. Ich habe stets gewusst, dass man dich in ihnen wiedererkennen  muss: dein wacher, stolzer Blick, dein fester Rücken, deine muskulösen Gliedmaßen, dein geschmeidiger Gang. Bei allen Einflüssen des Menschen muss in allen Rassen das Natürliche von dir erhalten bleiben. Das sollten die Juroren im Ring wissen, wenn sie Sie ihre Wahl treffen.
All deine  Töchter und Söhne werden sich versammelt sein, manche anders als du, mit schwarzem, weißem oder rotem Haar, wie auch bei uns Menschen,  Große und  Kleine werden dabei sein, aber alle sind ein Teil von dir.“
Er zog sich an einem der Ausgänge in eine Nische zurück und folgte erstaunt dem Treiben.
Durch die engen Gassen wurden Scharenweise Halbwölfe vorbeigeführt. Zwei riesige Doggen faszinierten ihn, sein Versuch einer  Kontaktaufnahme scheiterte, da die gestresste Besitzerin der beiden  „dafür keinen Nerv hatte“.  Die beiden Hunde spürten ihre Verbitterung, konnten sie aber nicht einordnen und gaben sich Mühe brav an der Leine zu laufen und alles richtig zu machen. Der Wolf war ihnen egal.
Bei den tschechischen Wolfshunden richtete er sich auf, lief ihnen einige Schritte hinterher, um sie zu beschnuppern. Die Ähnlichkeit war frappierend. Nur rochen sie nicht nach Wolf, sondern nach einem parfümierten Shampoon.
Eine Gruppe Pekinesen schien er für Welpen zu halten. Er wollte sie zum Spiel auffordern, was diese aber nicht honorierten und ihn ankeiften. Sie tragen noch immer die Arroganz der chinesischen Gottkaiser mit sich herum.
Lustige kleine Dackel kläfften ihn frech an, dies schien ihn zu amüsieren.
Kräftige  Molosser  zogen an ihm vorbei, so als würden sie ihren assyrischen Heerführer in den Krieg begleiten.
Der alte Wolf hatte sich diese Begegnungen anders vorgestellt. Hier in dieser stillen Ecke ist er zum stillen Betrachter seiner eigenen Evolution geworden, unerkannt von den Halbwölfen, die nur Augen für ihre Menschen haben. Er kam zu der traurigen Erkenntnis, dass diese angeleinten Wesen keinen Drang nach Freiheit verspüren. Das Umfeld des Menschen ist ihre Welt geworden.
Seine Gedanken aber streiften in die Wildnis und sein trauriger Blick erzählte mir von spielenden Wolfswelpen, von halbwüchsigen Draufgänger, die eine Rehfährte verfolgen oder einem  stolzen Wolfsrüden, der Gebirge und Flüsse überquert auf der Suche nach einer jungen Wölfin.
Später saßen wir auf der Ehrentribüne zum großen Finale. Schlanke Frauen, wie Gazellen, mit edlen Pointern an der glitzernden Leine. (Ich habe diese Teufelskerle so oft im Feld gesehen, wie sie aus der rasanten Bewegung zur Statue erstarren beim kleinsten Hauch von Wild).
Kleine zitternde Nackthunde liefen mit der Kälte um die Wette.
Sportliche Männer mit blauen und gelben Schuhen konkurrieren im Lauf mit grazilen Windhunden.
Auch eine Irish Setter Hündin hat es in diese Runde geschafft. Stolz, mit erhobenem Haupt zieht sie ihre Kreise.
 „Mehr geht nicht, sage ich immer wieder. Honoriere das endlich, Wolf, dass sich bei diesem Geschöpf der Schöpfer Mensch nicht vertan hat, er hat ein Kunstwerk geschaffen um deinen Kern.“
Er akzeptierte meine Begeisterung, legte seinen Kopf zwischen die Vorderpfoten und blickte zu mir hoch, verzog die Miene, so als wollte er grinsen.
Im Ring, vor der Setterdame,  lief ein kleines, hoppelndes, weißes Knäuel, das sie ständig ausbremste, da seine kleinen Beinchen nicht mithalten konnten. Triumphierend hob  sein Besitzer unter den wohlwollenden Augen der Jurorin  den kleinen weißen Star auf einen Tisch, kämmte  noch einmal seine Rutenhaare hoch  und stieß, ohne auf die Beurteilung zu warten, einen Jubelschrei aus. Er kam, wurde gesehen und siegte.
Der Wolf hatte sich unter meine Beine geschoben und schien zu schlafen. Mit einem Auge aber verfolgte er das Geschehen. Sein Knurren wurde von den musikalischen Einlagen verdeckt.
Und dennoch trafen wir auch  Menschen, die einfach kamen, weil sie von ihren Halbwölfen nicht genug bekommen konnten, freundliche Menschen mit viel Gespür und Liebe für diese Wesen. Kinder aus Stadtwohnungen, die die Gelegenheit wahrnehmen einen Hund zu streicheln, da der Vermieter Tierhaltung untersagt hatte. Senioren mit einem Hündchen an der Leine, das Einzige, das ihnen geblieben ist.
Gegen Abend war alles leer. Nur in einer Ecke stand eine abgedeckte Stapelbox auf Rädern mit mehreren übereinander gestellten Käfigen. Durch lautes Gekläffe wollten  die Insassen die feiernde Hundewelt darauf aufmerksam machen, dass es sie auch noch gibt, da man sie scheinbar in diesem großen leeren Raum vergessen hat.

P.S. Spät abends  erzählte ich dem Wolf Geschichten über Emil Inauen,  seine Huskies und seiner Vorstellung von dem Zusammenleben zwischen Mensch und Hund.
Nicht der „Laufsteg“ ist für den Fortbestand dieses hoch entwickelten Wesens wichtig,  sondern Sozialverhalten, Intelligenz und die Bereitschaft zusammen mit dem Partner Mensch Herausforderungen zu meistern.

 

 

 

 

                                   

 Die Vergessenen - Besuch im Tierheim

 

Ein überforderter alter Wolf in einem Heim für die Vergessenen. Viel Elend und  dennoch auch Gnade. Gut, dass es bei uns Menschen gibt, die die Ausgestoßenen aufnehmen.

 

Seit vielen Jahren rufen die Betreuer des Tierheimes aus H an, wenn ihnen ein Jagdhund gebracht wird.  Häufig handelt es sich um verstörte Tiere aus dem Ausland mit einem ausgeprägten Jagdtrieb, den die neuen Besitzer  nicht in den Griff bekommen und resigniert aufgeben. Manchmal sind es aber auch Hunde, die durch eine drakonische Ausbildung (oft mit Elektrohalsbänder) schreckhaft werden und in ihrer Verzweiflung um sich beißen.
Des Öfteren  ist es mir gelungen  wieder Vertrauen aufzubauen und auch Menschen mit viel Geduld für solche Hunde zu finden.
Eigentlich versuche ich meinen Hunden stets den wenig erfreulichen Anblick des Tierheims zu ersparen und auch diesmal wollte ich mich ohne Ablenkung und mit viel Vorsicht dem angeblichen Problemhund nähern. Auch den Wolf wollte ich nicht dabei haben, damit  ich mich voll auf den Rüden konzentrieren konnte, der angeblich schon zwei Mal Menschen angegriffen hat,für mich ein Novum, das meine ganze Aufmerksamkeit fordern würde.
Doch meine Rechnung, den Wolf zu Hause zu lassen, ging nicht auf. Er stand neben mir, blickte mich fordernd an, jedes Wort wäre überflüssig gewesen.
Als wir ankamen, meinte die Leiterin des Tierheims, nachdem sie meinen Begleiter in Augenschein nahm, etwas verwundert:
„Der hat aber viel von einem Wolf.“
„Schon möglich.“ sagte ich und ein mulmiges Gefühl beschlich mich. Ich hatte schon die Befürchtung, es könnte Panik ausbrechen, wenn die restlichen Tiere den Wolf riechen.
Als wir von der Eingangshalle in den Garten mit den Unterkünften der Hunde traten, wurden wir von der üblichen traurigen Geräuschkulisse empfangen: Kläffende Tiere, die sich in der neuen Umgebung nur schwer zurechtfanden.
 Der Einsatz und die Geduld der Menschen, die hier arbeiten sind bewunderungswert. Sie versuchen mit ihren geringen finanziellen Mitteln aus dem Schlimmsten das Beste zu machen.
Doch plötzlich wurde es um uns ganz still. Aus einigen Zwingern kam nur ein leises, flehendes Winseln.
Die Hunde hatten den Geruch ihres  Urvaters wahrgenommen und waren verblüfft und ratlos. Doch plötzlich schlug diese geheimnisvolle Stille in ein fürchterliches Jaulen und wütendes Gebell um.
Die Unglücklichen hofften bestimmt, dass der alte Wolf sie aus dieser misslichen Lage befreien würde. Diese  müden einstigen Wolfskinder hatten ihren Drang nach Freiheit vergessen. Jetzt werden sie aber durch diesen Urgeruch wie durch eine geheimnisvolle Berührung  wieder davon beseelt, und sie waren außer sich, so als wollten sie sagen: “Nimm uns hier raus, all mächtiger Vater.“
Ich sah zum Wolf, er wirkte wieder alt und müde bei Anblick des Elends und er wusste, dass er nicht helfen konnte.
Also legte er sich vor die Gitterstäbe mit dem Sorgenkind, dem der Anruf galt und sah den alten Hund mit seinen gutmütigen Augen lange an. Die Betreuerin erzählte mir dessen Leidensgeschichte:
Ein  Jagdsetter, der für den jagdlichen Einsatz nicht mehr zu gebrauchen ist, einst stolz und erfolgreich, jetzt überflüssig. Die Frau hatte ihn ins Tierheim gebracht, da der Mann vorhatte ihn zum letzten Mal zur Jagd mitzunehmen – ohne Rückkehr. Der alte erfahrene Hund, der so oft seinen Besitzer ins Feld begleitete, weigerte sich aber diesmal vehement und setzte sogar seine Zähne ein, als er über den Hof geschleift wurde. Alte Hunde können Situationen und besonders Menschen sehr genau einschätzen und in ihrer Verzweiflung sollte man sie nicht unterschätzen.
Ich kannte zufällig die Züchterin, ich rief sie auf dem Handy sofort an. Eine raue Stimme sagte mir, dass ihr diese Geschichte leid täte, da sie aber einen Wurf liegen habe, könnte sie sich um diesen alten Hund nicht kümmern. Um mich los zu werden, versprach sie sich nach neuen Besitzern umzusehen, was nie geschah.
Die Pflegerin sagte mir, dass der alte Kerl recht mürrisch wäre und manchmal auf Menschen losginge. Kein Wunder bei diesen Erfahrungen.
In einer anderen Box lag ein junger Boxermischling verängstigt und scheu. Die Polizei hat ihn bei einem Tiertransport beschlagnahmt. Er saß tagelang in einem kleinen Käfig in einem dunklen Kofferraum ohne Nahrung und Wasser.
Durch ein aufmunterndes Grummeln gelang es dem Wolf ihn aus der Ecke zu locken, verängstigte Augen sahen uns an.
Ein kleiner schwarzer Spitz mit ergrauter Schnauze führte plötzlich Kunststücke vor, die ihm sein Frauchen angeblich beigebracht hatte. Ihr plötzlicher Tod war das Ende einer glücklichen Partnerschaft zwischen Mensch und Tier. Die Kinder hatten keine Verwendung mehr für dieses liebe Wesen.
Der Wolf guckte neugierig diesen Spielchen zu, wandte dann seinen Kopf mir zu, als wollte er vorwurfsvoll sagen:
-„Dann bring ihn endlich von hier weg zu Menschen, die es gut mit ihm meinen.“
Genervt, wandte er sich   von einem kleinen Chivava ab, den eine amerikanische Familie ins Tierheim brachte. Sie ging zurück in die Staaten und die Kosten für die  Karantäne für den Kleinen waren scheinbar zu hoch. Dieser sprang jaulend bis zur Erschöpfung die Gitterstäbe hoch.
-„Dieses kleine Wesen ist einfach verzweifelt“, versuchte ich dem Wolf klar zu machen. –„Die Kinder fehlen ihm und der tägliche Spaziergang. Sei nicht so ungnädig“
-„Mensch, was hast du aus meinem Geschlecht gemacht? Hilflose Zwerge und Harlekins, die ohne euch nicht leben können, Kreaturen, die in einer ewig kindlichen Entwicklung verharren und euch mehr brauchen als ihre Freiheit.“
-„Deine Arroganz Wolf ist nicht leicht zu ertragen, schließlich habt ihr euch den Menschen angeschlossen, weil es einfacher ist einen Futternapf zu leeren, als täglich zu jagen.“ Zum ersten Mal war ich von seiner wölfischen Überheblichkeit genervt.
Er schubste mich an als Zeichen der Versöhnung. Eigentlich hatte er Recht. Was hat der Mensch aus der Spezies Wolf gemacht?
Aber auch die Natur kann grausam sein. In ihrem harten Kampf ums Überleben kennt sie keine Gnade und Tod und Zerstörung ist ihr nicht fremd. Doch kein Vergleich zur willkürlichen Umgang des Menschen mit der Kreatur. Kleine Mode- Hündchen als Spielzeug, Riesenhunde als Sensation, Hunde mit Knautschfalten im Gesicht, da sie angeblich so drollig aussehen, Kampfhunde, da sie Angst machen.
Wer gibt uns das Recht dazu?
Und wenn der Mensch für sich in Anspruch nimmt, in die Natur einzugreifen und  aus diesem urwüchsigen Wolf ein Schoßhündchen zu machen oder ein devoter Jagdhelfer oder ein Spielzeug, wo bleiben seine Pflichten dieser Kreatur gegenüber?
Immer für sie da zu sein, Schmerzen von ihr abhalten und sie nie zu verraten.
Wir begegneten an diesem Tag noch viele traurige Schicksale: ein Bernhardiner Mischling mit Schmerzen in den Gelenken, zu ihm war der Wolf richtig zärtlich, eine kleine Setterdame, die von ihrer Besitzerin getrennt wurde, weil das Gesundheitsamt das so wollte, einen von einem Auto angefahrenen Schäferhund, den niemand vermisste, einen Windhund aus Irland, der mit sechs Jahren  getötet werden sollte, da er beim Hunderennen nicht mehr die Leistung bringt.
Als wir ins Auto stiegen, kam wieder dieser vorwurfsvolle Blick und die Frage, die ich genau verstand: „Warum lassen wir sie zurück, warum nehmen wir diese unglücklichen Halbwölfe nicht mit“?
Fragen, die offen blieben.
Und dennoch bin ich dankbar, wenn ich an den Tierschutz in Deutschland denke.
Wie kann ich einem alten stolzen Wolf erklären, dass in den Tierheimen bei uns dem Hund  wenigstens die Würde erhalten bleibt, er versorgt  und tierärztlich betreut wird.
Es wäre zu grausam ihm von den Perreras, den Tötungsstationen in Spanien zu berichten oder sogar von den Fourrieres, diesen Orten der Hinrichtung in Frankreich oder von den Schergen der ASPA, den Hundefängern aus Bukarest, die jede Nacht unterwegs sind.
 Dabei ist“ Zweck des Tierschutz Gesetzes, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen“. Mitten in Europa in einer Welt voller Überfluss, wo Unfassbares an unseren Mitgeschöpfen geschieht, klingt das wie ein Hohn.
Hunderttausende arme willenlose, um Zuneigung bettelnde Geschöpfe, gezüchtet, gekauft  und dann verstoßen und sich selbst überlassen, um eingefangen und in den Tötungsstationen qualvoll hingerichtet zu werden.
Die Hand des Henkers oft als einzige missverstandene Liebkosung.


 

 


    

 

Der alte Wolf und sein "Freund" der Jäger

 

  

Gamsjagd im Schwarzwald

 

Vor Tausenden von Jahren haben Mensch und Wolf zusammen gejagt. Den Sinn der  Jagd   zu hinterfragen, wenn  heute Millionen von Tieren täglich im Schlachthaus getötet werden, wäre  lächerlich. Die Alten aber sprachen stets von hegen und pflegen. Protzerei und Jagdtourismus war ihnen fremd. Sind das die Jäger, welchen sich der alte Wolf einst zugesellte?

 


Der Schwarzwald übte auf mich schon als Kind eine besondere Faszination aus. Der schwarze Wald, undurchdringlich, still, feucht und viel sattes Grün. So habe ich ihn mir als kleiner Junge vorgestellt und später auch erlebt.
Von Zeit zu Zeit, besonders nach einem längeren Aufenthalt in der sonnenverwöhnten Camargue suchte ich hier die Stille und Abgeschiedenheit. Jetzt war es wieder soweit.

Ich hoffte, dass auch in mein Innerstes Ruhe einkehren wird und ich Antworten auf die ewig bohrenden Fragen, die mich seit der Ankunft des Wolfes beschäftigen, finden werde.
Das Leben in dem Bauernhaus, wo wir uns eingemietet hatten, erinnerte mich an die Welt meines Großvaters, wo alles seine Ordnung hatte, wo alles einfach und ohne überflüssige Fragen war. Die Tiere werden versorgt und gepflegt und natürlich auch gegessen. Die Katze fängt Mäuse, der Hund bewacht das Haus und ist ein Begleiter für die Jagd. Er ist ein Privilegierter, und darf seinen Platz unter dem Küchentisch einnehmen. Der Wolf ist im Wald und mit Märchen über die sieben Geißlein hielt man sich nicht auf, denn die Ziegen waren im Stall.
Auch der alte graue Wolf fiel hier nicht auf, er war ein naturbelassener Hund und er  passte  in die Landschaft.
Mittags aß ich eine Kleinigkeit in der Bauernstube und für meine "Begleiter" gab es Trockenfutter.
Manchmal reichte mir ein Stück Bauernbrot, es erinnert mich an die Hände meiner Großmutter, die es geknetet hatte.
So hätten wir  noch einige Tage verbringen können, wenn ich nicht durch ein kräftiges Schulterklopfen  in die Wirklichkeit zurückgeholt worden wäre.
Ich erkannte den alten Jakob  wieder. Ein freundlicher Mann, der es scheinbar geschafft hatte die Zeit anzuhalten. Er war ein „Grenzgänger“ zwischen Baden und dem Elsass, nur nahm er die Reviergrenzen nicht so genau, deshalb wurde er früher des Öfteren von den Franzosen vorgeladen.
 
Jakob hatte mir vor einigen Jahren bei einem Glas badischem Wein seine Lebensgeschichte erzählt.
Schon als Kind die Arbeit auf dem Bauernhof der Eltern, Krieg und Gefangenschaft und danach wieder Arbeit auf dem eigenen Hof. Nach dem Tod der Frau eine zerbrochene Welt, die Kinder in der Frankfurt und Mannheim und nur wenige alte Jagdfreunde und seine Jagdhornbläser sind ihm geblieben.
-„Ich weiß zwar, dass mich die Zeit überrollt hat und diese Jungjäger sich köstlich amüsieren, wenn ich nach einem gelungenen Schuss ein Gebet spreche, doch so war es nun mal bei uns. Ehrfurcht vor Gott und seiner Kreatur. Jeden Morgen, wenn du aufstehst, musst du in den Spiegel sehen können und dir sagen, dass du deine Freunde nicht verraten hast, zu deinen Kindern stehst und mit allen Tieren, die uns Gott auf dieser Erde anvertraut hat, pfleglich umgegangen bist“ “, das ist alles.
Er erzählte mir, dass er heute aus Angst vor dem Alleinsein mit zwei Freunden unterwegs sei und einem Schnösel aus einem wohlhabenden Hause zu begleiten, der sich zum Geburtstag einen Gamsabschuss wünschte. Die Familie fand das Geschenk originell und hat den doppelten Betrag bar auf den Tisch gelegt.
-„Heute kannst du alles kaufen, sogar eine von den wenigen Schwarzwaldgämsen“. Vielleicht komme ich nur mit, um zu sehen, dass er nicht trifft“, sagte er leise.

Er bat mich ihn wenigstens bis zum letzten Aufstieg zu begleiten und wir hätten viel Zeit zum Reden. Er ließ mir keine Wahl, eigentlich freute auch ich mich den alten Knaben wiederzusehen, der auch von der Kleidung her so gar nicht mehr in diese Zeit passte. Die beiden anderen waren nicht „meine Wellenlänge“.
Mein letzter Einwand. „Die Hunde?“
„Die interessieren sich nicht für Hunde, die wollen jagen“.
Deine Jagdhunde kenne ich, ich weiß nur nicht, woran mich dieser graue Gefährte erinnert, anfangs dachte ich er gehört zum Bauernhof, aber wenn du ihm traust, tue ich das auch und dein Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben“, meinte er verschmitzt mit Blick auf den Wolf, der uns  misstrauisch folgte.
Eine Antwort blieb ich ihm schuldig.
Die Wegstrecke wurde immer steiler, wir legten kurze Pausen ein, doch der ehrgeizige Jungjäger, mit dem ich noch kein Wort gewechselt hatte, drängte uns weiter.

Nach dem nächsten Anstieg blieb der junge Mann plötzlich stehen, sein Gesicht war kreideweiß und er übergab sich.
-„Peinlich, das ist die Aufregung“, flüsterte mir Jakob zu. Eine kurze Rast war angesagt. Verlegen sah der Gamsjäger in die Runde und meinte, die Austern des vorherigen Abends waren wohl nicht mehr frisch.

Nachdem der junge Mann seinen Schwächeanfall überwunden hatte drängte er zum Aufbruch. Sein Blick streifte von Zeit zu Zeit den Wolf: Um seine vorherige  „ Unpässlichkeit“ zu überspielen, versuchte er witzig zu sein: „Schade, dass es kein Wolf ist, ich hätte mir den Abschuss etwas kosten lassen“. Das war zu viel des guten.
Der Alte erkannte sofort, dass es jetzt brenzlig werden könnte und bat mich mit ihm auf dem Felsplateau zu bleiben, da er erschöpft sei. Wir verfolgen aus sicherer Distanz hinter einer Dickung das Geschehen.  Ganz weit oben die Silhouetten einiger Gämsen.
Ein Schuss zerriss die Stille, gefolgt von einem zweiten und dritten und dann wieder Totenstille, zerstört von Schreien und Gelächter der Schützen.
Auf einem Schlitten aus einer Plane zogen sie das erlegte Tier durch die Gegend. Der alte Mann bekreuzigte sich, ich schwieg verbissen, nur der Wolf näherte sich dem sonderbaren Gefährt. Sein Blick traf das brechende Auge des jungen zuckenden Gamsbocks.
Er sah mich stolz und vorwurfsvoll an: „Er hatte keine Chance, das hat er nicht verdient.“ Sein lautes klagendes Jaulen erfüllte das Tal und kam von den hohen Felswänden wieder zurück, ging aber im Freudentaumel der Jäger unter.
Unterhalb des Hanges wartete  ein Lastwagen, um die Jagdgesellschaft abzuholen. Ich sträubte mich zwar, aber Jakob sagte: „Mitgegangen, mitgehangen. Da musst du durch.“ Später wusste ich, was er meinte. Wir fuhren zu einem Festessen in die Trophäen-Halle  zum Onkel des Schützen. Dieser empfing uns am Eingang mit einem Schwarzwälder Kirschbrand. Ablehnen ist zwecklos, raunte mir Jakob zu.
„Die Köter könnt ihr draußen anleinen, Jakob weiß wo.“ Wieder ein Grund zu gehen, doch Jakob ließ nicht locker. Er meinte, dass ich überrascht sein werde. Er leinte die Hunde an, der Wolf, der keine Leine kannte, legte sich daneben.
 
Wir betraten die Halle, ich war überrascht, denn es war furchtbar:
Die Wände des geräumigen Saals waren vollgepfropft mit Geweihen und Hörnern jeglicher Art: Reh und Hirsch, hundertfach, dazu Mufflon, Wasserbock, Elch, Springbock Onyx, Kudu und vieles mehr. Dazwischen ausgestopfte Hasen, Fasanen, Rebhühner Birkhühner, Auerhahn, Wildkatze. Einheimisches Wild und alles Mögliche, vorrangig aus Afrika.
Die Jagdreisen müssen einige Hunderttausend gekostet haben.
Am Ende der Halle ein  lebensgroßes Krokodil. Ich sagte zu Jakob: -„So wird es bestimmt im Jagdschloss des spanischen Königs aussehen, wahrscheinlich gibt es dort auch einen Elefanten zu sehen.“ 
 Ich war überrascht als ich sah, dass der Wolf sich  hereingeschlichen hatte. Er saß wie ein braver Hund vor dem mächtigen Schädel eines Steinbocks. Ich wollte ihn unbemerkt nach draußen bringen, was mir nicht gelang. Er blieb angewurzelt wie eine Statue, sah ehrfürchtig nach oben, so als wollte er ein Teil dieser grotesken Szenerie werden.
„Du kanntest ihn“, sagte ich leise.
Er registrierte mich nicht, sein Blick haftete an diesen überdimensionalen Hörnern des Steinbocks und plötzlich zerriss ein furchtbares Heulen den Raum. Alle saßen erstarrt auf ihren Plätzen und wagten nicht, sich zu bewegen.
 Jetzt war Eile geboten. Wir verließen blitzschnell den Raum. Jakob brachte uns mit seinem Pritschenwagen in die Herberge zurück.
„Wolf, das waren nicht die Jäger, die du suchtest, nicht die Menschen, mit denen deine Urahnen zur Jagd gingen, um ihre Familien zu ernähren. Diese Jäger brauchen euch nicht mehr, um das Wild aufzuspüren, sie haben Fernrohre und präzise Waffen. Ihr seid ihre Feinde, sie legen auf euch an. Sie haben euch schon lange die Freundschaft gekündigt. Das ist die Wahrheit.“

 

 

 

Ara, ein Jagdhund von einem Jäger getötet

 

Ein Jäger,  der einen Hund tötet, tötet einen Freund. Er hat durch dieses Verbrechen seinen Platz in der menschlichen Gesellschaft verwirkt.

 

 




 

Am nächsten Tag war der Wolf ruhig und anschmiegsam.
„Wolf, heute erinnerst Du mich an meine großen Rüden Feu,  Frederick Vito, Fire,  Wulfi und Hazel, als sie alt und weise waren. Diese stolzen Halbwölfe, die mich erst brauchten als sie müde wurden. Sie vertrauten mir und ich habe sie begleitet bis zum letzten Augenblick.“
Er sah mich an mit diesem fragenden Blick:
„Einen hast du vergessen, doch wahrscheinlich wirst du den kleinen weißen Engländer nie vergessen so lange du lebst. Du konntest ihm nicht helfen, als er durch den Schuss eines Jägers getötet und vergraben wurde, wie so viele meines Geschlechts“.
Der alte Wolf riss eine Wunde in mir auf, die nie verheilen wird. Ara war ein kleiner stolzer English Setter, klug schön und verwegen.
Er war auf mich geprägt und zeigte jedem anderen Hund oder Mensch die kalte Schulter.
Seine Abenteuerlust war nicht zu bändigen, wenn ich nicht dabei war.

Und dies war sein Verhängnis.
In den Weinbergen bei Mainz verhallte ein tötlicher Schuss.
Ein Jäger hat einen Jagdhund erschossen und heimlich vergraben.
Ein Jäger, der bestimmt nie die kalte Schnauze eines Hundes auf seinem Handrücken gespürt hat, ein Töter, der die Waffe braucht, um ein Mann zu sein. Ein Feigling, der hinterrücks mordet und nicht den Mut hat, zu seiner Tat zu stehen.
Ich lag Nächte lang wach und fühlte die letzten Schmerzen des kleinen Hundes. Rachegedanken kamen hoch, ich wollte dem Mörder ins Gesicht sehen, aber all meine Nachforschungen liefen ins Leere.
Was gibt dem Mensch das Recht Tiere zu töten, wenn das nicht seiner Ernährung dient?
-„Weiser Wolf, du weißt, wo sie den kleinen Jäger Ara verscharrt haben, bring mich dort hin, ich will Abschied nehmen.“
Er legte zum ersten Mal seinen Kopf auf meinen Schoß und verharrte einige Minuten in dieser Stellung. Dann gab er das Zeichen zum Aufbruch.
Nach zwei Stunden erreichten wir den besagten Ort und der Wolf führte mich an eine abgelegene mit Brombeeren überwucherte Stelle und legte sich davor. Ich setzte mich dazu und wir schwiegen lange.
Grasbüschel, Hecken und wilder Wein haben die Stelle überwuchert, so als wollten sie den menschlichen Frevel verbergen. In der Mitte von Dornen geschützt blühte eine kleine Wildrose.
„Wolf, du, weißt, dass ich leide. Du bist gekommen auf der Suche nach den alten Jägern von einst, wie mein Großvater einer war, voller Ehrfurcht und Demut vor Gottes Geschöpfe, die ihr Lager und ihre Nahrung  mit euch teilten.
 Wolf, du bist nicht von dieser Welt und du wirst  in deine Welt zurückkehren.
 Nimm meine Bitte mit, dass alle, die aus Lust gemordet haben, dort empfangen werden von ihren Opfern.
Der feige Mörder des kleinen Ara wird keine Möglichkeit haben, sich hinter Mauern oder Büschen zu verkriechen.
Er wird dem stolzen Engländer in die Augen sehen müssen, diese sanften dunkelbraunen Augen. Der Töter wird vor dem Allmächtigen seinen Hochmut verlieren, flehen und winseln und um Gnade betteln.
In diesem Universum muss es doch ein Platz der Gerechtigkeit geben.“
Wieder Zuhause angekommen, blieb er an meiner Seite. Bisou und Jela waren beunruhigt. Macht er ihnen ihren Platz streitig?
Die folgenden Tage verbrachten wir im kleinen Jagdhaus meines Freundes  in Epfenbach mitten  im Wald. Wir genossen  die Stille und den feuchten Duft von Moos, Tau und Erde. Nur manchmal am Morgen, wenn die Nacht sich langsam ins Dickicht verzog stand der Wolf am Bach, hob sein Haupt und durch den Wald klang ein tiefer, geheimnisvoller Ruf.
Doch es kam keine Antwort.



Jagdtraining

Jagdhundeausbildung erfolgt häufig an Wild, das in der Voliere gezüchtet wurde. Es handelt sich um flugunfähige mit Antibiotika vollgestopfte oft kranke Tiere. Jagdbehörden und Verbände lehnen in ihren Statuten diese Praktiken ab.
Es ist schlimm, wenn wir mit einer beflissenen Selbstverständlichkeit  zu anderen Geschöpfen grausam sind, wenn wir sie so behandeln, als wären sie ein Stück trockenes Holz,  wenn wir nicht mehr merken, dass  sie leben und wir ihnen sinnlos Leid zufügen.

 
Grüne gemähte Wiesen,  soweit das Auge reicht und vielen grün gekleidete Menschen mit Hunden an der Leine, die auf ihren Aufruf warteten.
Mit einer bestimmten Skepsis verfolgten wir das Geschehen. Wo sollte es hier Wild geben auf diesen glatten Flächen ohne Hecken, Gestrüpp oder sonstigen Bewuchs?
Eine Fläche als Spielwiese geeignet oder als Pferderennbahn.
Seriöse Herren mit Notizbüchern in der Hand und mit Auszeichnungen am Revier riefen das erste Gespann zur Suche auf.
Zwei kleine dürre Wesen wirkten wie entfesselt, als sie von der Leine gelassen wurden. Sie rannten wie Windhunde bis zum Horizont und kamen mit dem gleichen Tempo wieder zurück und die Herren nickten wohlwollend. Der zweite Spurt folgte dem ersten und so ging es weiter, dazwischen Pfiffe und wildes Gestikulieren.
Wie Marionetten an Drahtseilen rannten die Raser kreuz und quer. Der alte Wolf wandte sich angewidert ab.
Ein kleines Rebhuhn, aus einem Karton entnommen,dem keine Zeit blieb sich an die Natur und das Gras unter seinen Füßchen zu gewöhnen, versuchte sich zu verstecken und lief unglücklich Richtung Straße und verschwand am Wegrand. Zum Glück hatten es die eifrigen „Turborenner“ nicht bemerkt. Ihre Nase konnte wohl mit der Schnelle nicht mithalten. Armes Hühnchen, in der Obhut des  Menschen aufgewachsen und jetzt den Greifvögel zum Fraß preisgegeben.
Der Wolf verfolgte dieses Treiben mit einer Portion Misstrauen und geriet bei dem folgenden Flintenschuss aus der Fassung. Ich beruhigte ihn, indem ich ihm klar machte, dass dieser nicht ihm galt. Seine Furcht fiel den anderen Teilnehmer nicht auf, da alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren.

Aus der Entfernung sahen wir, wie einer der Hunde von der einen Seite auf den Holzhaufen zustürmte und ein junger Fasanenhahn sich fluchtartig davon machte. Er stieß einen dünnen Schrei aus und versuchte, wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben, seine Flügel einzusetzen. Zu spät. Eine Wolke von bunten Federn in den herrlichsten Tönen des Herbstes legte sich über die Wiese. Totenstille. Einer der  Herren rief: „Hund greift krankes Wild“ und legitimierte dadurch das Geschehene. Vielleicht sogar wahr.
Über uns fliegt triumphierend ein Flugzeug am Himmel, der den Vögeln gehört, und auf dem Boden liegen die gebrochenen Flügel eines jungen Fasanenhahns.
Ich kenne  sie, diese prächtigen Tiere in freier Natur aus der wilden Landschaft  der Camargue, die, wenn sie gestört werden, beim Aufsteigen  mit ihrem empörten kurzen Schrei  den zurückgelassenen Mensch und Hund zurechtweisen. Ich mag sie, aber  noch mehr begeistern mich die Rothühner, die sich in Ketten  auf den herbstlichen Feldern  dezent in die Grasflächen zurückziehen, um dann wie eine bräunlich rote Wolke davon zu schwirren.
Ich  habe sie für mich zu heiligen Vögeln erklärt und bei jedem  Flintenschuss, der im Herbst  die morgendliche Stille der Schilfflächen zerriss, gehofft, dass er daneben ging.

Der alte Wolf kannte diese kleinen Geschöpfe bestimmt  aus den Zeiten, als  Tiere ebenbürtige Teilhaber der Wälder und Wiesen waren und den Vögeln die Lüfte gehörten.

 
Wir versuchen, eine Natur, die wir  nur noch aus  Geschichten unserer Vorfahren kennen,  nachzustellen und  künstlich zu ergänzen und sündigen erneut, jetzt an  unschuldigen wehrlosen Geschöpfen.


 

Wasserarbeit mit Jagdhunden

 

Dressur ist das, was vielen liegt. Sie dressieren Menschen zu Maschinen, sie dressieren Tiere zu Maschinen, sie dressieren sich selbst zu Maschinen. Alles Natürliche und Überlegte muss weg. Bei der Dressur von Jagdhunden hat der Mensch "Dank" Technik und Elektronik sich selbst übertroffen.
Was übrig bleibt sind ängstliche Geschöpfe, die schnell nach dem Apportierbock greifen aus Furcht vor Schmerzen bei einer Verweigerung. 




Eines Tages stand mein Freund mit seiner kleinen ungarischen wasserscheuen Vorstehhündin vor der Tür. Er hielt glücklich einen Zettel mit einer Adresse in der Hand:
„Dieser Mann ist ein Hundeflüsterer für Jagdhunde, ein Wasserspezialist, er hat die schwierigsten Hunde in den Griff bekommen, ich habe für das Wochenende einen Termin mit ihm vereinbart. Er verspricht hundertprozentige Garantie.“
 Ich muss gestehen, dass ich von seiner Bitte,ich solle ihn doch zu diesem Unterfangen begleiten, überrascht war. Dieser Vorschlag missfiel mir, so dass ich ihn prompt ablehnte.
Als ich aber sah, dass die kleine Ungarin die Nähe des Wolfes suchte, so als hätte sie unser Gespräch verstanden, kam ich zu dem Entschluss, dass es wohl besser wäre, ihr mit meiner „Truppe“ Beistand zu leisten. Wir würden also alle zusammen fahren und die Kleine würde sich sicherer fühlen.
Das Wort "Wasserarbeit" schien mir lächerlich. Im Wasser zu spielen oder zu schwimmen, war von jeher für meine Hunde reines Vergnügen. Wieder einmal streifen meine Gedanken in die Camargue, eine Landschaft, die durch zahlreiche Wasserarme durchzogen ist. Wie sehr liebten alle meine Hunde ein Bad nach einem Spaziergang.  Wie kleine wendige Schiffchen überquerten sie die breiten Kanäle. Unsere Stammmutter Stella schwamm den Fischen hinterher und ich hatte stets Mühe, sie wieder ans Ufer zurückzuholen. Amy, Bisous Urgroßmutter,  apportierte  Strohhüte,  die der Mistral von den Köpfen der feinen Damen fegte, die sich auf ihren Luxusboten durch die Kanäle kutschieren ließen.
Und dieser kleine Hund fürchtet sich vor dem Wasser.
Ich bestand darauf, nur als unbedachter Zaungast beim "Training" sein zu wollen, was mein Freund mir zugestand. Insgeheim war ich schon etwas neugierig auf diesen Zauberkünstler aus  dem Norden,  der angeblich für jedes Problem eine Lösung hat.

Zu unserer Überraschung befanden sich auf dem Sammelplatz eine Vielzahl von Fahrzeugen, meist Geländewagen.  Viele Menschen in Grün, die meisten Damen wie dem Katalog für Jagdmoden entnommen.
Nach einer kurzen schnörkellosen Ansprache mit viel Pathos über die Geschichte der Jagd und das grandiose Zusammenspiel Mensch- Hund in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit( gut, dass der Wolf dieses Gefasel nicht verstand, oder verstehen wollte), ging man abrupt zum praktischen Teil über.
Eine noch lebende Ente, die durch die Luft  gewirbelt wurde, landete- hoffentlich tot -im See. Ein Flintenschuss, ein deutscher Vorstehhund stürzte sich ins Wasser und brachte sie in Windeseile zurück. Es folgte ein begeisterter Applaus. Eine gepflegte blonde Dame fragte ihren Begleiter: “Ist die Ente jetzt tot?“
Es folgte eine Aufteilung in Gruppen. Mein Freund und seine Ungarin wurden der Gruppe „wasserscheu“ zugeordnet. Ich traute meinen Augen nicht:  Über einen Bachzulauf  war ein Drahtseil gespannt. Die Leine der Hunde wurde an einem Metallring befestigt, sodass sie nicht ausbüchsen konnten. Mit einer zweiten langen Leine wurden sie über den Bach gezogen. „Schwimm Hund oder ertrinke“  war scheinbar die Devise.
Die meisten Hunde sträubten sich erbärmlich, sie hatten aber keine Chance zu entkommen. Einmal im Wasser angelangt, blieb ihnen nichts anderes übrig als zu schwimmen.
Eine schwarzhaarige ältere Dame mit dunkler Sonnenbrille hatte es besonders schwer, ihren jungen Rüden zu bewegen, diese graugrüne Brühe anzunehmen.  Der Hund sträubte sich vehement, die Frau war trotz Gummistiefel bereits bis zu den Oberschenkeln nass, ihre gepflegten Gesichtszüge waren jetzt zur Fratze entstellt. Sie setzte ihren Stiefel zu einem Stoß am Hinterteil des Hundes an, rutschte aus und lag im Wasser. Der Hund riss sich los und suchte das Weite.
Der Wolf hatte sich an der Böschung  unter den Ästen einer Weide vergraben und verfolgte das erbärmliche Schauspiel. Zwischendurch stieß er Knurrlaute aus, die wahrscheinlich den verständnislosen Menschen und nicht den eingeschüchterten Hunden galten. Die kleine Ungarin hatte sich an ihn gekuschelt, da mein Freund sich weigerte, diese Tortur über seinen Hund  ergehen zu lassen.
All meine Hunde waren schon als Heranwachsende hervorragende Schwimmer, weil sie ohne Druck und Zwang das Wasser als Spielwiese mit  den alten Haudegen genossen.
Frederik, der als fast Erwachsener von der Insel kam, paradoxerweise aber kein Wasser kannte, stand  während eines Korsika-Urlaubs neben mir an einem Binnensee und beäugte misstrauisch das leicht schaukelnde Wasser. Alle meine Überredungskünste, ihn ins Wasser zu locken, blieben fruchtlos.
Neugierige versammelten sich um uns, mir war das Schauspiel peinlich und ich schwamm über den See.  Am anderen Ufer angekommen, war Frederik neben mir. Er war mir gefolgt, da er mir vertraute.
Hier aber ging das erschreckende Spektakel weiter.
Aus geringer Entfernung sahen wir, wie lebende Enten mit verschnürten Flügeln ins Wasser gelassen wurden und die Hunde angesetzt wurden, um die Schwimmspur zu verfolgen. Mein Protest, dass die Tiere erbärmlich verhungern würden, wurde ignoriert. Schließlich würde ja das Paketband nach einer Zeit durchweichen und die Enten könnten sich befreien, bekam ich als Antwort.
Beim Anblick dieser armen Geschöpfe musste ich zwangsläufig an den Erpel aus dem Kanal in Aigues Mortes denken, der Fires Freund war.
Er ließ es sich nicht nehmen, jedes Mal, wenn wir uns näherten, den alten Fire lautstark zu begrüßen, um dann majestätisch davon zu schweben. Manchmal zeigte er ihm auch seine Kinderschar  und wenn Fire zu neugierig wurde, ruderte die Entenfamilie ganz einfach ins Schilf am gegenüberliegenden Ufer und war verschwunden.
Hier ging das Treiben weiter.
Auf einer Waldwiese war ein Apportierspezialist dabei, den Hunden das Apportieren von Wild im Schnellkursus beizubringen. Kein schöner Anblick, da überall totes Wild herumlag und sich ein Verwesungsgeruch breit machte.
Da die Hunde sich weigerten, die stinkenden toten Tiere in den Fang zu nehmen, wurden drakonische Methoden angewandt, die ich hier nicht aufführen möchte.
Von diesem Aasgeruch angewidert, verzogen sich unsere Vierbeiner Richtung Auto.
Für uns war dies ein Zeichen, dass wir hier nicht hingehörten.
Beschleunigt wurde unsere Abreise durch ein höllisches Geknalle aus dem nahen Wald. Die abgelegten Hunde sollten auf ihre Schussfestigkeit überprüft werden. Scheinbar schoss jeder der Teilnehmer, was das Zeug hielt, während die Hunde ihren Platz nicht verlassen durften. Einzelne Hunde brachen aus und suchten das Weite.
Der Wolf war außer sich, ich versuche seinen verständnislosen, fragenden Blick  zu deuten:
Warum strapaziert  ihr das feine Gehör eurer Halbwölfe durch dieses unnütze Schießtheater?
 Wölfe lieben die Ruhe und die Stille.
Wie sollen sie euch vertrauen, wenn Zwang eure Devise ist?
Ihr habt ihnen die Freude genommen und das Glücksgefühl, euch als Freund zu dienen. Diese stolzen Halbwölfe, Blut aus meinem Blut, sind zu feigen Sklaven mit traurigen Gesichtern geworden, die Befehle ausführen, die sie nicht verstehen.
Im Auto schloss er die Augen, so, als wollte er alles vergessen. Ich merkte aber, dass er nicht schlief. Am Abend zog er sich wieder  zum Schlafen in den Garten zurück.

 


Der Schutz des Kindlichen bei Menschen und Tieren

Für Schiller ist Anmut ein spontanes natürliches Handeln aus dem Gefühl heraus. Ohne zu überlegen, soll der Mensch im entscheidenden Augenblick das Richtige zu tun. Tut er das?



Wälder, Wiesen, ein Bachlauf, der sich durch den  Wald schlängelt, ein kleiner Stausee  mit zwei Wildgänsen, die hier heimisch geworden sind. All das gibt mir und dem Wolf für Stunden das Gefühl, dass die Welt in Ordnung ist.
Menschen sehen wir bWei unseren Spaziergängen  nur selten und wenn, dann nur aus der Ferne. Oberhalb des Ortes am Wasserreservoir legen wir gewöhnlich eine Pause ein. Über einen kleinen Waldweg machen wir uns dann auf den Heimweg.
Doch ganz plötzlich hält der alte Wolf  inne, seine Muskeln spannen sich an und er wird zum Standbild.  Mit gestrecktem Hals, mit der Nase im Wind setzt er sich schleichend in Bewegung. Beim Jagdhund nennen wir dies Vorstehen und Nachziehen.
Und dann ein bewegendes Bild:
Ein halbwüchsiges Rehkitz  überquert unseren Weg.
Soviel Anmut, soviel wilde Schönheit und Grazie bringt nur die Natur hervor.
 
Im Laufe der Evolution hat sich in unserem Bewusstsein  der  Schlüsselreiz  des Kindchenschemas entwickelt. Gedacht als Schutz von allem Hilflosen. Nicht nur Menschenkindern,  auch kleinen Tieren begegnen wir  mit Wohlwollen und Achtung und verwehren ihnen unsere Hilfe nicht.
Ein Rehkitz  muss einem Menschen heilig sein, denn es verkörpert die natürliche Unschuld von Hunderttausenden von Jahren.
Alle Jagdrechte, die das Töten eines Tierkindes erlauben, verstoßen gegen das Prinzip der Humanität.
Ein Rehkitz als Sonntagsbraten beim Anblick glücklicher Kinder? 
Am Straßenrand ein sterbendes kleines Reh von einem Auto über den Haufen gefahren, eine gaffende Menschenmenge steht dabei und dann kommt der Mensch, der grausame  Erlöser ohne Gnade mit dem Dolch und rammt ihn ins Herz des Tieres und ein kleiner Junge drückt seine  Nase an der Autoscheibe platt.

Schon in unseren alten Sagen gibt es den Schutz des Kindlichen auch bei Wölfen. Die etruskische Wölfin hat Romulus und Remus gesäugt, weil sie hilflose Kinder waren.
Und du, Mensch, tötest die Unschuld und  lehrst deine Kinder das Töten. Wo ist der römische Sklave, der dir zuflüstert: Sieh dich um und denke daran, dass auch du ein Mensch bist, der sterblich ist.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, denn plötzlich hat Bisou eine Ente in der Nase, die unter der Böschung  des Baches brütet,  und es ist ein genialer theatralischer Akt, wenn sie in voller Länge wie in Stein gemeißelt dasteht, genauso wie der alte Wolf beim Rehkitz. Ich kann mich jedes Mal aufs Neue daran ergötzen.
Der kluge „Fachmann“ würde diese Anlage eines Hundes, das Wild nicht wahllos durch die Gegend zu hetzen, als  „angewölft“  bezeichnen, um zu verdeutlichen, dass diese  vom Ursprung her vorhanden ist, also vom Wolf an den Hund weitergegeben wurde.
Ich gehe noch weiter in meiner gewollten Interpretation und deute es als das spontane Achten einer anderen Kreatur.




Wo gibt es noch einen Platz für dich alter, stolzer Wolf?

  

Der alte Wolf und die Wölfe im Zoo


"Sein Blick ist im Vorübergehen der Stäbe so müd geworden, dass er nicht mehr hält..." (Rilke)

Die Bekanntschaft mit dem Direktor des Zoos in der nahe gelegenen Großstadt und die zahlreichen Besuche haben meine Einstellung zu dieser sonderbaren Welt geprägt: Achtung, wenn es sich um die Erhaltung bedrohter Tierarten handelt, die nur noch hier eine Chance haben, aber auch vor der pädagogischen Aufgabe, die der Zoo übernimmt, Kinder mit einer Welt vertraut zu machen, die ihnen von zu Hause fremd ist.
 Leider manchmal aber  auch nur Unverständnis, wenn ich die Könige der Savanne sehe, wie sie vor sich hindösen und  die Besucher ignorieren oder von Langeweile geplagt ihre Runden drehen. In Fernsehsendungen erleben wir täglich, wie sich engagierte Betreuer bemühen, diesem eintönigen Leben zur Abwechslung zu verhelfen. Da fällt mir stets  der „Panther im Jardin des Plantes“ Paris ein, dieses wunderbare Gedicht von Rilke, das die ganze Verzweiflung der Wildtiere in Gefangenschaft ausdrückt.
Wir durften wie immer den Zoo über den Hintereingang durch die unbeschwerte Welt der Kolibris, die um ihre Tränken mit Nektarersatz schwirrten, betreten.
Der Direktor musterte den Wolf:- „Was hast du denn dabei, das ist doch mehr als ein grauer Schäferhund, aber er ist ja friedlich. Aber an die Leine muss er trotzdem, du kennst die Vorschriften. Bitte pass auf, dass er keinen Ärger macht.“
Ihm kann keiner, wenn es sich um Wildtiere handelt, etwas vormachen. Aber wir durften trotzdem unsere Runde drehen.
Kinder beim Füttern von Ziegen, wahrscheinlich ihr einziger Kontakt mit Tieren, Schildkröten beim Liebesspiel, der große Ententeich mit allem möglichen schwimmenden Prachtgefieder, ein Faultier, das seinem Namen alle Ehre macht, all das interessierte den Wolf scheinbar nicht. Er schlenderte neben mir her, nur von Zeit zu Zeit wurde er unruhig, er hob er den Kopf, streckte seine Nase in den Wind und nahm Witterung auf.
Ich wusste was er roch, er zeigte mir auch die Richtung an, in die es ihn zog, doch ich blieb stur, noch waren zu viele Besucher im Zoo und für die von mir geplante Begegnung wünschte ich mir Ruhe und  Zuschauer wären bestimmt nicht von Vorteil.
Also gingen wir weiter in die andere Richtung.
Ein alter Elefantenbulle kam auf uns zu. Was verbirgt sich hinter dieser großen Stirn? Bestimmt viel Wissen über Dinge, die uns fremd sind oder vielleicht Weisheit und Ahnung über Zusammenhänge, die wir nicht ergründen können. Am Wassergraben, die das Elefantengehege von der Außenwelt trennte, standen sie sich lange voller Achtung gegenüber, zwei die auf der „Schwarzen Liste“, der „Abschussliste“ stehen.
Und in Spanien wird ein Rapper wegen Majestätsbeleidigung angeklagt, weil er es einem senilen König übelnimmt, dass dieser Elefanten tötet.
Der Silberrücken, der sich in sein Außengehege vor seinen übermütigen Affenkindern zurückzog und vor sich hin döste, wurde bei unserem Anblick plötzlich wach und trommelte aufgeregt mit beiden Fäusten auf seine Brust. Auch er und sein Geschlecht gehören zu den Todgeweihten genau wie die Schimpansen oder Bonobos.
Vergebens der Kampf einer Jane Goodall und  vieler anderer Frauen, an  die sich die Schimpansen Babys mit ihren Menschenhänden klammern, diese hilfesuchenden Hände unwürdig getötet und als Aschenbecher auf afrikanischen Märkten an Touristen verkauft.
Um die sich ewig lausenden Paviane machten wir einen Bogen, da ich ihrem ständigen Gekeife nicht viel abgewinnen kann, was dem Wolf auch recht schien.
Ein alter Löwe mit gelben Zähnen fauchte kurz, als er uns erblickte, ein Zeichen, das der Wolf wohl zu deuten wusste, und so legte  er auch keinen Wert auf dessen Bekanntschaft. So langsam traten die meisten Besucher ihren Heimweg an, die Eulen reckten bereits ihre Hälse während andere  Zoobewohner in Richtung Schlafplatz trotteten.
 Auf unserem Rundgang kamen wir dem Wolfsgehege jetzt näher.
Von weitem sahen wir neun bis zehn graue Gesellen, die im großen Kreis hintereinander her trotteten. Der alte Wolf blieb stehen, hob wieder seinen Kopf und traute diesem ungewöhnlichen Bild nicht. Er sah mich an, als wollte er mich fragen:-„Sollen das wirklich Wölfe sein?“
Wir näherten uns weiter dem Gehege, als plötzlich ein junger hagerer Wolfsrüde innerhalb der Abzäunung in einer Art Wutanfall auf den Alten losstürmte, wahrscheinlich ein Ritual, um sich im Alltag neugierige Hunde vom Leib zu halten.
Vor dem Gitter brach er plötzlich seinen Angriff ab und er näherte sich winselnd dem grauen alten Wolf. Die anderen folgten ihm. Jeder versuchte durch die Gitterstäbe mit der Schnauze die Lefzen des Alten zu erreichen, eine Geste der Anerkennung und Unterwerfung. Der Alte stand aufgerichtet da, wie ein König der Maja vor seinem versklavten Volk.
Ich sah seine Augen, die plötzlich aufflammten voller Hass und Verzweiflung. Ein fürchterliches Heulen hallte durch den still gewordenen Garten. Aufgescheuchte Singschwäne bemühten sich, ihre schweren Flügel zu benutzen, junge Stockenten suchten das Weite.
Der alte Wolf verbiss sich in den Gitterstäben und versuchte sie aus der Verankerung zu reißen, ein sinnloses Unterfangen und nur mit viel Kraft konnte ich ihn vom Gitter wegzerren. Ich muss gestehen, dass ich ihn zum ersten Mal fürchtete.
Die restlichen Wölfe standen verdutzt, eine alte Wölfin legte ihren Kopf zwischen die Pfoten, ihre Augen leuchteten voller Bewunderung. 
Nur ein schwarz-weiß gefleckter Mops an der Leine einer zierlichen älteren Dame, die sich rein zufällig noch so spät in diese Ecke verirrt hatte, verstand das alles nicht und kläffte hysterisch. Durch die Anstrengung  und den Sauerstoffmangel verfiel er in ein erbärmliches Röcheln, versuchte aber dennoch auf den alten Wolf loszugehen. Dieser wandte sich angewidert ab.
-„Wolf, deine Überheblichkeit ist nicht angebracht. Auch das war einmal ein Wolf, bevor er zum Clown gezüchtet wurde, ein kleiner Loriot mit zu kurzer Schnauze und „Klubschaugen“ und einem silbernen Halsband mit echten Diamanten.“
Nur ein Baustein aus dem menschlichen Repertoire, wenn dieser Gott spielen möchte und die Natur sich und seinem kranken Geschmack zu Eigen macht. Hunde mit Falten, fehlende Fontanelle oder zurechtgestutzte Ohren und Ruten, riesengroß, wie ein Pony oder klein wie eine Maus.
Das alles kann der Mensch!
Wir verließen den Zoo und  ein Rudel grauer Kerle blieb in ihrem Gehege zurück. Aus der Ferne konnte ich sehen, dass sie wieder ihren Rundgang entlang der Umzäunung aufnahmen.
Doch in dieser Nacht werden die jungen Wölfe wahrscheinlich von einem Leben außerhalb der Gitterstäbe träumen von grünen Wiesen an einem Bachlauf und vom Duft der Wildnis.

 

 

 

 Der Wolfstein im Cleebronner Wald

Der Mensch setzt sich so gerne Denkmäler. Bei genauer Betrachtung oft für seine Untaten.

 

 


Diese beschauliche Welt vor unserer Haustür, die ich so gut kenne, mit fleißigen Menschen bestrahlt vom Daimlerstern, mit einer Natur, die jeden Morgen frisch gewaschen in der Sonne glänzt, mit einem „grünen Fürsten“, der auf dem Dach seines Amtssitzes Bienen züchtet; diese biedere Welt birgt in ihren Wäldern ein abscheuliches Denkmal mit  folgender Inschrift:
„Hier wurde am 10.3.1847 der letzte Wolf in Württemberg durch Waldschütz Sorg aus Eibensbach erlegt.“
Ein massiger Stein mit einer plumpen Tier–Fratze, die wohl ein Wolfskopf sein soll, fünfzig Kilometer von uns entfernt, errichtet im Jahr 1969.
Ein Denkmal für wen?
Für einen „Schützenkönig“, der besser auf Scheiben aus Holz geschossen hätte, denn das Töten eines Tieres ist kein rühmlicher Akt.

Oder als traurige Erinnerung an das letzte Exemplar eines Wesens, das in den württembergischen Wäldern schon zu Hause war, bevor der Mensch kam?
So war es vom Auftraggeber dieses Steinkolosses bestimmt nicht gedacht, denn dann hätte man die obligatorischen durch den Wolf getöteten Schafe weggelassen. Nein, auch im Jahr 1969 sollte das alte Gruselbild vom bösen Wolf wieder aufgefrischt werden.
Für meinen alten Wolf das Ziel einer traurigen „Wallfahrt“, die wir zusammen antreten werden.
Die ausgestopfte tote Hülle  des Wolfes im Stuttgarter Naturkundemuseum will ich ihm ersparen. Und den Wolfswelpen auch, der hier mit dem Steinzeitjäger in Szene gesetzt wird als Beweis einer ach so tollen Freundschaft. „Heute sind wir Freunde, morgen richte ich meine Waffe auf dich, kleiner Wolf.“
Wir fuhren über Sinsheim und Eppingen, über kleine Straßen, durch Dörfer, die friedlich wirkten mit Kindern, die vor der Eisdiele spielten und Schafen, die friedlich auf der Weide grasten. Die großen Städte, obwohl gar nicht so weit  entfernt, schien man hier nicht zu kennen.
Der Wolf lag friedlich mit geschlossenen Augen und genoss die  Zuwendung, die ihm Jela zu Teil werden ließ.
Das letzte Stück des Weges zwischen Spielberg und Cleebronn legten wir zu Fuß zurück.
Der Wolf trottete unsicher neben mir her, ihm schien diese Umgebung nicht geheuer zu sein.
Hier also lebte einer der letzten Wölfe, dachte ich mir. Soweit man sehen kann nur Bäume, so viel Raum für jeden, auch für einen Wolf.
An einer Weggabelung wollte ich rechts  abbiegen, der Wolf gab mir aber zu verstehen, dass dies die falsche Richtung wäre. Jetzt erst bemerkte ich, dass er genau wusste, wo unser Ziel lag und ich folgte ihm. 
Der Stein war schon von weitem zu sehen. Er war noch hässlicher als auf den Abbildungen, die ich bereits kannte. Die Buchstaben gruben sich in den schon brüchigen Fels wie böse Runenzeichen, die  verletzen und zerstören wollen.
Ich setzte mich auf einen umgeknickten Baumstamm, der Wolf und die Hunde legten sich daneben.
Nichts Ergreifendes, keine Worte, keine Dramatik, nur Stille und in meinen Gedanken höre ich immer wieder einen Schuss, der alles auslöscht.
Nach einer Stunde traten wir schweigend unseren Heimweg an.
Das eingravierte Jahr auf dem Stein ließ mich nicht los: 1847.
Eine bewegte Zeit, auch in Württemberg, nach Jahren der Hungersnot  mit den Vorboten der Revolution.
Der letzte getötete Wolf ist Nebensache, denn es gibt jetzt das Cannstatter Volksfest und es findet sich in den Analen kein Hinweis, dass dem  „Waldschütz Sorg“ auch wenigstens eine Medaille verliehen wurde.
Aber auch die nachträgliche Glorifizierung der Tat des Schützen im Jahr 1969, als der Stein aufgestellt wurde, entbehrt jeder Vernunft oder Logik. Man könnte doch glauben, in dieser bewegten Zeit habe sich in den Köpfen der Menschen etwas verändert und der Gedanke des Tötens ist endlich verblasst.
Aber ein Feindbild ist erhalten geblieben, vielleicht auch die heimliche Bewunderung für ein majestätisches Tier verbunden mit einer grausamen Tat.
Und doch nicht das einzige  derartige Zeugnis in Deutschland.
In Stein gemeißelt auch die Wolfssäule in der Laußnitzer Heide. Sie erinnert an die Jagd vom 11. November 1740, bei der Rudolph Siegemunden von Nostitz(1696−1754) einen großen Wolf getötet  hatte. Vierzehn Jahre danach sahen sich hoffentlich Wolf und Schütze in einer anderen Welt wieder.
Ein weiterer Stein mit hässlicher Inschrift erinnert an das Jahr 1802, als  der letzte Wolf der Heide an der Talsperre Malter von Ober-Hof-Jägermeister von Preuß getötet wurde.

Die Wolfssäule  im Friedewald bei Auer geht noch weiter zurück. Am 20.April 1618 soll hier der letzte Wolf Sachsens bei einer Treibjagd getötet worden sein. Der Schütze hieß Anthoni Brum, war „Jäger-Jung“.
Armer alter Wolf, bleibe ruhig, noch stehen heute für Jungjäger keine Wölfe als Zielscheibe  zur Verfügung, doch die Zeit wird kommen.
 Doch es gibt Rehe, die wie Ziegen vor der Haustür weiden. 

Der Wolf sah mich müde mit halb geöffneten Augen an. Aus seinem Fell ist das Grau einem Weiß gewichen. Ein schneeweißes Gesicht, wie ich es von meinen alten Hunden kenne, wenn sie zu Menschen werden, bevor sie gehen.

 

 

 

Ein Truppenübungsplatz in der Lüneburger Heide

 

Wieso haben Bürokraten den Ausdruck „Problemwolf“ erfunden, wenn der Mensch und seine Unvernunft das Problem sind?










 
Hunderte Kilometer sind sie gewandert die grauen Kerle, die in der Munster Heide eine neue Heimat gefunden haben. Sie waren auf der Suche nach diesem Refugium der Verheißung, wie auch wir Menschen es tun, wenn das Bedürfnis nach Leben in uns die Hoffnung aufkeimen lässt, dass dieser Ort irgendwo zu finden ist.
Erfahrungen haben sie misstrauisch gemacht und sie wandern nicht in Scharen dem gelobten Land entgegen, um auf den Weltmeeren zu kentern oder in Lagern hinter Stacheldraht verfrachtet zu werden,  sie ziehen allein durch die Wildnis, scheu aber schnell und zielstrebig und Berge und Flüsse können sie nicht aufhalten.
Doch hier in der Munster Heide scheinen sie angekommen zu sein.
Spielende  Wolfswelpen mit allen Gesten und Bewegungen, wie ich sie von Hundewelpen kenne. Uralte Rituale kehren hier  wieder.“
Der übermütige Blick, die raschen Kehrtwendungen beim Spiel, die herzzerreißenden  Schreie, wenn die Mutter dem Treiben ein Ende macht.
Dazu kommt die Neugierde für alles Neue und alles, was man jagen kann, ob  Biene, Amsel oder Elster.
Bei solchen Bildern müsste das Herz jedes Hundefreundes höher schlagen. Der Wolf ist nun mal die Urform unseres Hundes, den wir oft euphorisch aber zu Recht als den besten Freund des Menschen bezeichnen.

Diese Wölfe sind eine harmonische Familie, die wir  Menschen uns so oft herbeisehnen.  Größere Wolfgeschwister betreuen die Kleinen und man hat ihnen menschliche Namen gegeben, welch heile Welt  sich vor unseren Augen auf dem Bildschirm abgespielt.
Dies alles auf einem Truppenübungsplatz. Das sollte uns zu denken geben. Granateneinschläge, Panzerfahrzeuge, Kanonen, alles ist für die Wölfe leichter zu ertragen als verfolgt und gejagt zu werden.
Sie haben in einigen Jahrtausenden gelernt, dass sie keine Chance haben sich dem Eroberer Mensch in den Weg zu stellen und deshalb meiden sie ihn.
Etwas Wunderbares bahnt sich aber hier in der Lüneburger Heide an: Junge Wölfe fürchten die jungen Menschen nicht, die hier ihren Dienst tun. Sie fordern sie in ihrer Kindlichkeit zum Spielen auf.
Unbekümmerte Menschen und unbeschwerte Wolfswelpen drehen das Rad der Geschichte um tausende Jahre zurück.

Doch dann geschieht das Unfassbare.
Ein kleiner Wolf, der kein Misstrauen kennt, der den Namen eines meiner Freunde trägt, vermisst plötzlich den Soldaten, seinen Spielgefährten, der seine Nahrung mit ihm teilte, und er sucht ihn. Er kennt das Wort Freundschaft nicht, aber sein Herz schlägt ganz stark, er verlässt sein Rudel und wandert auf der Suche in  eine ihm fremde Welt.
In einer Amtsstube wird daraufhin eine Akte angelegt und mit dem Stempel „Problemwolf“ versehen.
Sie fürchten sich plötzlich wenn sie dem jungen Wolf begegnen,Kerle, die ihrem Schäferhund die Gerte über den Kopf ziehen, damit er endlich mannscharf wird.
Alte Fräuleins vergießen Krokodiltränen, wenn sie im Bücherregal Grimms Märchen abstauben. Und Söder sagt, man muss den Wolf entnehmen, denn das ist gut für die Wahlen. Politiker würden alles entnehmen, wenn es Wählerstimmen bringt. Menschen entnehmen und dem Meer überlassen, Tiere entnehmen mit Kim und Korn und Pflanzen entnehmen mit Glyphosat.

Der junge Wolf aber ist auf der Suche nach seinem Freund vom Truppenübungsplatz, doch er trifft  in dieser fremden Welt auf Wesen, die brüllend Steine nach ihm werfen. Sie fürchten angeblich das Böse in ihm, da sie das Böse in sich selbst kennen.
Und sie schicken  einen Menschen mit einer Waffe, ein lachendes, breites Gesicht mit wirren Augen, er legt an und drückt ab.
Auf dem Schreibtisch eines dürren Beamten liegt ein Bericht: „Entnommen als Vorsichtsmaßnahme: gezeichnet Umweltminister.“
Kleiner Wolf, du hast dem Menschen vertraut, er hat dich getötet, weil du ihm nahe sein wolltest, er kennt keine Gnade.


 
   

    Verein zur Entnahme des Wolfes

 

Wenig ansehnliche Funktionäre endlich aus  ihrer menschlichen Bedeutungslosigkeit erwacht. Zum ersten Mal im Leben ein vermeintliches Gefühl von Macht. Verein-  t gegen das andere. Nur laut und schrill oder feige und dumm.

 

Deutschland ist das Land der Vereine. Wenn einer Kanarienvögel in Käfige sperrt, ist er Mitglied im Kanarienzuchtverein, wer  Belgische Riesen in seinem Hasenstall hält, ist Mitglied im Kaninchenzuchtverein, wer Schafe züchtet ist Mitglied im Schafzuchtverein. Wer ein Pferd besitzt, ist Mitgliede im Reitverein.
Mein Großvater hatte herrliche Pferde, Rinder und bestimmt auch Kaninchen für die Kinder gezüchtet und dies ohne Vereinszugehörigkeit. Er besaß herrliche, kluge Jagdhunde ohne Zuchtordnung und Zuchtverein. Sein gesunder Menschenverstand ließ ihn stets die richtigen Entscheidungen treffen.
Heute wäre das nicht mehr möglich.  Der Leitsatz von Tell: „Der Starke ist am mächtigsten allein.“ würde Fragen nach dem Sozialgefühl oder der Solidargemeinschaft aufwerfen.
Die Politiker freuen sich über unsere Vereine und nutzen diese Beschäftigungstherapie ihrer Wähler als Ablassventil. Wer sich mit üppigen Satzungen eines Kleintierzüchtervereins herumschlägt, ist beschäftigt und denkt weniger über den  Unfug der Parteienlandschaft  nach.
Bedrohlicher als Vereine zum Zwecke der Beschäftigungstherapie sind aber die Zusammenschlüsse mit einem ideologischen Hintergrund oder Sendungsbewusstsein:
Verein „Deutschland den Deutschen“, "Verein für die Sauberkeitskontrolle der  Vorgärten", Verein zur Ausrottung der Kaninchen auf deutschen Wiesen.
"Verein zur Entnahme des Wolfes aus deutschen Wäldern".
Letzter hat mein besonderes Interesse geweckt.  Eine Möglichkeit, Überzeugungsarbeit im Sinne dieser stolzen Kreatur Wolf zu leisten, bestand auch darin, mich um die Mitgliedschaft in diesem ominösen Verein zu bewerben.
Die sterile Verharmlosung „Entnahme“ hätte mich stutzig machen müssen. In Deutschland wurden wir bereits im Laufe unserer Geschichte mit Euphemismen konfrontiert. Das verbale Einlullen scheint uns zu liegen.
Mein Mitgliedsantrag im „Verein zur Entnahme des Wolfes“ e.V., auch als gemeinnützig anerkannt und so steuerbegünstigt, wurde angenommen. Natürlich musste der  Mitgliedsbeitrag im Vorfeld überwiesen werden. (Später hat sich herausgestellt, dass die Funktionäre saftige Beträge einstrichen oder einfach ihre Rente aufbesserten.)
Meine Vorstellung, ihnen den alten Wolf mit seiner Ruhe und Ausgeglichenheit als Gegenargument zu ihrem Gefahrenszenario zu präsentieren, war ein Wagnis, das ich eingehen musste. Also nahm ich die Einladung zur Mitgliederversammlung des Vereins in einer Landgaststätte an.
Meine Befürchtung, dass ein Funktionär den Wolf als solchen erkennen würde, war unbegründet. Die meisten übersahen ihn, andere streichelten den „ach so lieben alten Schutzhund, der bestimmt den Wölfen den Garaus machen würde.“
Wir betraten den Raum  und der Wolf verschwand unter dem Tisch, so, als wäre er sich der heiklen Lage bewusst gewesen.  Wir waren etwas zu spät und die Debatte war schon voll in Gange.
Ein kleiner Grauhaariger Froschmund mit einem Schäfchen im Arm brüllte ununterbrochen aus der ersten Reihe: „Der Wolf muss weg.“ Seine dürre, etwas ältere hochgeschossene Frau las eine Erklärung vor, die keiner verstand und die niemanden interessierte. Angeblich hatten beide im Vorfeld an die Vorstandsmitglieder Zettel mit Texten zum Vorlesen verteilt. Hier waren zwei Demagogen am Werk. Sie hatten in den letzten Jahren erfolgreich gekämpft gegen die Überfremdung der Araberzucht in Deutschland und gegen die stalinistische Ideologie Russischer Windhunde.
Jetzt haben sie den Wolf für ihre Kampagne entdeckt und im Vorfeld präzise das Angriffsszenario festgelegt.
Einer im Präsidium nahm sich besonders wichtig, er sprang ständig auf und gestikulierte wild, um sich Gehör zu verschaffen. Er hielt ein Blatt in der Hand und las buchstabierend mit hochrotem Kopf: „Der Wolf war mein Freund, ich habe ihn geliebt. Aber jetzt ist Schluss. Der Wo..Wolf muss weg.“ (Du bist, wie du sprichst, dachte ich mir).Neben ihm saß regungslos eine unscheinbare, dunkelhaarige Frau mit noch dunklerer Sonnenbrille. Sie ergriff nur einmal das Wort. Sie lobte die Treffsicherheit des Wolfstöters aus der Lüneburger Heide und dankte mit einem „Waidmannsheil.“
Ein junger Mann von einer Naturschutzorganisation, der sich gründlich auf diese Veranstaltung vorbereitet hatte, versuchte auch das Wort zu erlangen. Anhand von Graphiken und Ergebnissen wissenschaftlicher Studien  erläuterte er der aufgebrachten Menge die Ernährung des Wolfes: 52%Reh, 24,7% Hirsch, 16,3% Wildschwein und 0,8% Nutztiere. Anschließend erläuterte er die Rolle des Wolfes als Gesundheits- und Waldschutzpolizist. Doch das interessierte niemanden.
Eine  schlaksige, etwas vertrocknete Rothaarige stolzierte weinend, aber wie ein Paradepferd durch die Menge und las aus Grimms Märchen vor. Ein Clown im gelben Blazer, roten Schuhen und grünen Haaren weinte ebenfalls vor sich hin und schluchzte zwischendurch: "Oh, wie liebe ich den Wolf, aber er muss weg!"
 
Eine rundliche, einfältige Frau, die bis jetzt vor sich hin döste, versuchte sich aufzurichten und las ebenfalls buchstabierend von ihrem Blatt: „Ich bin von den  Schafen, der Wolf hat mich beleidigt.“
Die Menge applaudierte.

Ein Prediger im Kommunionsanzug benutzte die ganze Länge des Saals als Bühne für seinen Auftritt. Lächelnd schritt er die Reihen entlang, lobte seinen uneigennützigen, unermüdlichen, christlichen Einsatz im Schäfchenverein und bedauerte angeblich von ganzem Herzen, dass der Wolf unserer ach so gefährdeten Natur entnommen werden müsste.
Auch ein Vertreter des Landesamtes für Umwelt war anwesend. Er lobte  die neue Wolfsverordnung, die 2018 in Kraft trat. Zur Tötung eines Wolfes bedarf  es nun keiner Ausnahmegenehmigung mehr. Bravo Rufe hallten durch den Saal. Natürlich war dieser Satz aus dem Kontext gerissen, doch solch ein Manöver störte schon den alten Bismarck nicht, als  er dadurch einen Krieg auslöste.
Bei der nächsten Wahl braucht man dieses „Stimmvieh“, muss ihm durch den Kopf gegangen sein.
Der Umweltvertreter versuchte noch anzumerken, dass ein Jagdschein keine Qualifikation für eventuelle Maßnahmen darstelle. Das hätte er lieber bleiben lassen, denn er erntete nur Buhrufe.
Menschen, die sich vor der Veranstaltung zur Thematik einen Überblick verschafft hatten, saßen versteinert und frustriert in einer Ecke. Ihre Hoffnung, dass hier Argumente ausgetauscht und vernünftige Entscheidungen fallen würden, hatte sich zerschlagen.
Hier ging es nicht um die Wahrheit, hier wurden auch nicht die veruntreuten Gelder des Vereins angesprochen, hier war nur Polemik angesagt. Alles, was sich an familiärem Frust, an beruflichen Unvermögen aufgestaut hat, kam hier zum Ausbruch.
Koalitionen des Hasses auf Zeit wurden gebildet, um die eigenen Unzulänglichkeiten oder den Betrug am Gemeinwohl zu überdecken. Ein Feindbild war geschaffen: der Wolf.
Ein Biologe, ein älterer Herr mit weißem Haar, der sich in der Wolfsforschung einen Namen gemacht hatte, wurde endlich zum Rednerpult gelassen. Während seines Vortrags über den Wolf, der ausgerottet wurde und nach mehr als hundert Jahren wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist, verließen einige der Teilnehmer den Raum, andere unterhielten sich über das anstehende Fußballspiel Bayern gegen Dortmund.
Einen Satz seiner Rede, der wie eine Warnung klang, werde ich nie vergessen:
„Lange bevor der Wolf zum Lagerwolf wurde, hat er sich mit dem Menschen die Wildnis geteilt. Die Natur ist nicht der alleinige Besitz des Menschen. Die anderen Lebewesen haben auch ein Existenzrecht. Die Natur gehört uns nicht, wir haben sie uns angeeignet, doch sie wird sich zurücknehmen, was ihr gehört.“
Er sprach er von der Höhle von Chauvet, wo vor 26.ooo Jahren die Fußspuren eines Kindes und eines Wolfes sich wahrscheinlich kreuzten und bat in seinem Schlussplädoyer um eine Chance für den Wolf.
Dieser lag still unter dem Tisch und ich war sicher, er hatte jedes Wort verstanden. Auch die Gefühlskälte der Menschen verstand er, ebenso die gebündelten Aggressionen einer entfesselten Meute.
Den beiden Demagogen war die Ansprache des Biologen nicht geheuer, sie  befürchteten  die Stimmung könnte kippen, also stimmten sie mit ihren krächzenden Stimmen ein Lied an: „Der Wolf muss weg. Der Wolf muss endlich weeeeg.“
Plötzlich richtete sich der alte Wolf auf, streckte den Kopf senkrecht nach oben und aus seiner Kehle drang ein furchterregendes Geheul. Stille im Saal.
Ich wollte den Wolf in Sicherheit bringen, doch da er war  schon verschwunden. Für immer.

 

 

 

Epilog

 

  Bialowieza, Europas letzter Urwald

 

 

Als wäre die Flucht eine Lösung. Viele werden es bedauern, denn sie haben jetzt kein Feindbild mehr. Sie werden aber emsig suchen und ein neues finden.





 


In den folgenden Tagen berichteten Wanderer und Holzfäller, dass sie nördlich von Berlin an der Oder  eine große Ansammlung von Wölfen gesehen hätten, die zielstrebig Richtung  Polen unterwegs waren. Auffällig war der Leitwolf, da sein Fell zum Unterschied von den restlichen Grauwölfen ganz weiß war.
Später hätte man sie auch nördlich von Warschau  gesehen und später in der Nähe der Ortschaft Narewka am polnisch – weißrussischen Nationalpark Bialowieza. Hier gibt es über eine Gesamtfläche von 1.500 km² den letzten Urwald Europas mit Gebieten, die noch nie von Menschen betreten wurden. 
In den folgenden Wochen waren die Wolfsforscher in Deutschland alarmiert, denn weder  in der Lüneburger Heide noch in Brandenburg war Wolfsgeheul zu hören. Die aufgestellten Fotofallen lieferten Bilder von Rehen, Wildschweinen und Füchsen, aber Wölfe waren nicht zu sehen.
Der alte Wolf hatte erkannt, dass nur die Freiheit der Naturreservate, weit entfernt von allen menschlichen Siedlungen, das Überleben seines Geschlechts  möglich macht.
Das Leben der Halbwölfe, die in ihrem Inneren keinen Drang nach Freiheit verspüren und  ihren Götzen Mensch anhimmeln, ist ihm fremd geblieben. Ihre Sozialstrukturen haben sich durch die enge Bindung an den Menschen verändert. Dennoch hat der alte Wolf die Freundschaft mit Hazel, Jela und Bisou genossen.
Er hat glückliche spielende Welpen gesehen, die liebevoll von Menschen betreut werden, er hat aber auch kleine Hunde gesehen, die wie Kaninchen zu Verkaufszwecken gezüchtet werden.
Er hat Halbwölfe erlebt, eingepfercht in Tierheimboxen oder als willige Jagdsklaven des Menschen oder Schokotorte löffelnde  Schoßhündchen,  als Glitzerpüppchen auf dem Laufsteg der menschlichen Eitelkeit oder als Ausstellungsobjekt hinter Glasscheiben  in einem Zoogeschäft.
Er war auf der Suche nach den einstigen Jägern, an deren Lagerfeuern er sich in der Urzeit wärmte.
Er hat sie nicht gefunden; dafür Menschen, die edle Tiere der Natur entreißen und sie ausstopfen oder ihre Geweihe an die Wand hängen.
Er hat den Menschen erlebt, wie er die Natur nachäfft und Fasanen und Rebhühner in Gefangenschaft züchtet, um sie dann für seine gestellten Jagdspiele schutzlos auszusetzen.
Er hat erlebt, dass man die  letzten Vertreter seines Geschlechts abschießt, weil sie die Nähe des Menschen suchen. Das vor Jahrtausenden geknüpfte Band  zwischen Mensch und Wolf ist gerissen.
Er hat die alltägliche Hysterie, dass in Deutschland wieder Wölfe gesichtet werden, zu spüren bekommen.
Deshalb hat er die letzten freien Wölfe um sich versammelt und  mit  ihnen die Reise angetreten in  eine Welt, die heute  noch glücklicherweise dem Menschen verschlossen bleibt.
 Bialowieza, der letzte Urwald Europas als Refugium für eine vom Aussterben bedrohte Tierwelt.
Da, wo es  Jahrhunderte alte Bäume gibt, wo man nie die Motorsäge des Menschen hört, da wo kein Flintenschuss und  nur das Rufen des Schreiadlers die abendliche Stille  zerreißt, da wo  die letzten Bären und Wisente leben, werden  bald spielende Jungwölfe  ihre Kräfte messen und Wölfinnen ihre Welpen großziehen.
Ich wünsch dir Glück in deiner neuen Heimat alter, weiser Wolf.





 

 

 

 


 
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden