Hundebiographien
Vor vierzig Jahren nach dem Tod meiner Cockerspaniel Hündin Rita( Sie wurde durch grausame Menschen vergiftet), sah ich zum ersten Mal einen Irish Setter.
Der weiche Cockerblick von Rita, die geschmeidigen Bewegungen, das weiche Fell, viel Ähnliches und dennoch auch viel Neues, so dass die Erinnerungen an sie nicht immer präsent waren.
Es war der Anfang von etwas, was neben Familie und Beruf mein Leben bestimmten sollte. Mein erster Setter brachte das mit, was einen Hund ausmacht. Er nahm seinen Platz in meinem Leben ein und ließ sich von unserer Couch nicht mehr verdrängen.
Schnell musste ich aber erfahren, dass es um diese Rasse nicht gut bestellt war.
Ich war bereit mich einzubringen. Meine Frau teilt bis heute mit mir diese Leidenschaft. Als Genetikerin verfügte sie damals auch über das Wissen neue Wege zu gehen.
Stammbaumanalyse, Kontakte zu Wissenschaftler bekannter Universitäten, unzählige Reisen durch Europa, wir gaben unser Bestes, um leider nach einigen Jahrzehnten festzustellen, dass sich nichts geändert hat.
Wir kämpften viele Jahrzehnte mit wenig Erfolg um den Erhalt dieser einmaligen Hunderasse, denn andere Interessen in diesem Umfeld waren stärker.
Funktionäre, die die erste mendelsche Regel nicht verstehen, können durchaus in der Lage sein, Mitgliedsbeiträge zu veruntreuen oder Neid und Missgunst zu säen.
Und dennoch waren es Jahre, die wir wegen der Hunde nicht missen wollten.
Was uns geblieben ist, sind herrliche aneinandergereihte Augenblicke mit unseren Hunden, leider auch traurige Gedanken des Abschieds.
Wir werden sie nicht als etwas Vergangenes abtun, so als hätte es sie alle nie gegeben.
Und täglich werden durch Blicke, Bewegungen oder „Marotten“ unserer Bisou und unserer Jela die Erinnerungen wach gehalten.
Die „Hundebiographien“ soll mein Beitrag gegen das Vergessen sein.
Bianca, der Hund, bei dem ich in die Lehre ging
Geboren im Jahr 1979, also vor fast vierzig Jahren, mit viel trauriger Aktualität, wie die Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten, Cap Anamur und Flüchtlinge in Seenot, Autonomiezusagen an Katalonien, Hurrikan in der Karibik mit vielen Toten, aber auch glücklicherweise überholte Berichte über mutige DDR-Bürger im Heißluftballon.
Nach einer spannenden, fast schlaflosen Nacht in München, die Aufregung hatte ihren Teil dazu beigetragen, fuhr ich auf einer bayerischen Landstraße dem großen Ziel entgegen. Es war der Tag, an dem ein kleiner Setter acht Wochen alt war und angeblich auf mich wartete.
Diese Formulierung des sonst wortkargen Züchters war schon deshalb ungewöhnlich, weil er in einem Telefongespräch nebenbei erwähnte, dass er die kleine Hündin trotz des geringen Geburtsgewichts am Leben ließ, da es im Wurf nur zwei Weibchen gab.
Hundert Mark weniger, weil der Winzling nach seinen Aussagen nicht für die Zucht in Frage kam, passten zu meinem damaligen Studentenbudget. So fuhr ich voller Erwartung durch die idyllische Landschaft, die Ortsschilder wurden kleiner und kleiner, zuletzt war es nur ein kunstvoll verziertes Brett mit dem Namen „H“.
Ich lief die schmucken Landhäuser, die alle ähnlich aussahen, entlang und suchte nach einer Hausnummer, die hier scheinbar überflüssig war. Plötzlich ein ohrenbetäubendes Gekläffe, ganz hell, dazwischen das Geschrei einer Frau und das aufgeregte Schnattern einer Entenmutter. Durch den Zaun bot sich uns ein ungewöhnliches Bild. Eine Schar Setterwelpen jagte halbwüchsige Enten, eine aufgebrachte Frau versuchte das Schlimmste zu verhindern.
Als ich eintrat, ließ die Rasselbande von den Enten ab, die Neugierde über den Besuch war zu groß. Nur ein kleines, renitentes Etwas machte weiter.
Die Frau schrie: „Kruzifix, die kloane Sau bringt mir alle Anten um“ und zu uns zugewandt: „Sie sind der aus Heidelberg, das is ihre, nehmen sie sie endlich, sonst daschießt sie mei Moo“. Und ich hatte sie schon auf dem Arm, sie machte es sich bequem, blinzelte mich an, als wollte sie mir sagen: „Klappt schon, guck nicht so blöd, diese dummen Enten können auch so schön provozieren“.
Ich bezahlte schnell mein kleines Teufelchen und machte mich aus dem Staub, das schlechte Gewissen, das das kleine quirlige Ding nicht besaß, hatte sich auf unerklärlicher Weise auf mich übertragen.
So begann das große Abenteuer. Was die Kleine nicht wusste, ich war genau so unvernünftig, denn wir fuhren nicht Richtung Norden, sondern in den Süden: Urlaub mit Hund. Das sollte spannend werden.
Zu erwähnen wäre noch, dass ein häufiges Kratzen mich zu einer Körperkontrolle veranlasste und siehe da, ich hatte viele kleine schwarze Tierchen im Fell des neuen Familienmitglieds mit erworben.
Im nächsten Ort kaufte ich in einer Apotheke für die Kleine das erste Geschenk: ein Flohhalsband.
Unser Urlaub hatte seine Spuren hinterlassen, in erster Reihe an meinen Armen. Wir haben an Erziehung und Ernährung alles falsch gemacht, was möglich war.
Fazit: Menschen sind freundliche Wesen mit vielen Händen zum Streicheln, große Bewunderer dieses schönsten Welpen aller Zeiten und immer bereit zum Spielen.
Im Studentenwohnheim folgte die Fortsetzung. Dieser kleine verbotene Hund war eine Sensation und die müden Ausläufer der 68er konnten, da die Revolution zu Ende war, von dem wirren stürmischen Hundekind nicht genug bekommen. Toben war angesagt, Holzknöpfe von den selbstgestrickten Ökojacken abknabbern und dazu kläffen und spielen.
Nachdem die Kleine zum halbwüchsigen Monster wurde und wir uns in einigen Heidelberger Altstadtkneipen Hausverbot einholten, war Erziehung angesagt. Heute gibt es im Umkreis zahlreiche Hundeschulen: Wie sag ich es meinem Hund flüsternd, Tellington-Touch, Clicker-Training und vieles mehr, ja es gibt große Hundepädagogen, wie Martin Rütter und andere Fernsehstars. Damals gab es den alten Trummler mit seinen Wildhunden und sonst gar nichts.
Ich sog bei einem Vortrag seine Worte auf und hoffte auf Hilfe. Seine These „Die Prügel, die der Welpe nicht bekommt, sind die Probleme, die der Besitzer später hat“ wollte ich nicht unbedingt auf mein halbwüchsiges Settermädchen übertragen, also suchten wir weiter nach einer Hundeschule und wurden fündig: Ausbildung im Pudelclub.
Eine Freundin lud uns an einem Sonntagnachmittag zu einem Kennenlerntreffen ein. Als wir ankamen, war man gerade beim Kaffeetrinken. In gepflegter Runde saßen seriöse Damen und Herren an einem geschmückten langen Tisch. Der eine oder andere hatte ein Zwergpudelchen auf dem Arm mit Schleifchen und Sonntagsfrisur.
Hier lässt es sich leben, dachte wohl meine Kleine, sah die putzigen Kerlchen beim Kaffee und sprang auf den Tisch, um jeden artig zu begrüßen. Die Tassen flogen durch die Luft, die Kuchenstücke konnten leider nicht alle vor dem gefräßigen Setterkind gerettet werden. Als ich sie endlich einfangen konnte, hatte sie den Tisch in voller Länge durchquert.
Das war es, dachte ich, und wir waren im Begriff den Rückzug anzutreten, als der Ausbilder streng auf uns zukam und sprach: „Dieser Hund muss erzogen werden“.
Also fanden wir uns jeden Donnerstag zum Unterricht ein, der so begann: Hundeführer X meldet sich mit Hund Y zur Ausbildung. Die Kleine lernte schnell: Sitz, Platz, über Hürden springen, einiges Brauchbare und viel Unnützes.
Einmal nahmen wir sogar am Pudelrennen teil und wurden Sieger, obwohl dieser Titel dem schwarzen Großpudel Elvis zustand, der stets seine Gegner in die Flucht schlug und dann langsam durchs Ziel trabte.
Dieser tollpatschige, arrogante Kerl, stellte sich an einen Baum zum Pinkeln und fixierte seine Konkurrenten. Ich winkte mit der Leberwurst und die Kleine war nicht zu bremsen. Den gleichen Eifer legte sie später bei manch einem Hasen an den Tag. Wir erhielten eine tolle Urkunde, die sie aus Langeweile schon im Auto zerlegte. War ja auch egal, aufhängen hätte man sie sowieso nicht können, schon wegen der Blamage. „Setter gewinnt Pudelrennen“ stand dennoch Montagmorgen in der Lokalpresse.
Das war zu viel des Guten und wir blieben diesem Treiben fern. Ich hatte mein Staatsexamen bestanden und Bianca und ich waren beide „vogelfrei“ - und wir tauschten die mondäne Pudelwelt gegen die Dossenheimer Felder ein.
Mein verrückter Hund lehrte mich alles: wo die Fasanengockel balzen, wo die Rebhühner ihr Sandbad nehmen und wo die Hasen stets für einen Sprint bereit stehen. Letzteres wurde zu ihrer Lieblingsbeschäftigung und die meine - Warten auf ihre Rückkehr - wurde immer länger.
Zeitlebends verfolgte mich das Jägerlatein meines Großvaters, diese herrlichen Geschichten meiner Kindheit und jetzt hatte ich einen Jagdhund, also meldete ich ihn zur ersten Prüfung in einem Revier in der Pfalz und prompt kam auch ihre erste Läufigkeit.
Darin sah der Prüfungsleiter, den ich telefonisch darüber unterrichtete, kein Problem. Sie würde als Letzte dran kommen, wenn die Rüden geprüft wären, meinte er.
Pünktlich fuhr ich nach O. und war stolz, Teil der sogenannten Korona zu sein, dieser Wagenkolonne von passionierten Hundeführern, die einen Neuling recht freundlich aufnahmen, bis sie erfuhren, dass meine Hündin läufig ist. „Der Hund bleibt im Auto, der macht unsere Rüden verrückt!“ Dieser Bass-Stimme wagten wir nichts entgegenzusetzen; ich wenigstens nicht. Bianca kläffte unentwegt im Auto. Es war der erste sehr warme Frühlingstag und sie saß auf dem Rücksitz.
Von diesem Logenplatz konnte sie die Suche der Konkurrenten noch besser beobachten. Das machte sie noch wütender.
Ich kurbelte die Scheiben meines Fahrzeugs leicht herunter, um ihr ein bisschen Kühlung zu verschaffen. Das war für sie wie eine Aufforderung, sie zwängte sich durch den Spalt und beteiligte sich fröhlich an der Suche. Das Geschrei war groß: „Die heiße Hündin muss sofort ins Auto!“. Beeindruckt gab ich klein bei. Verärgert über die Humorlosigkeit dieser anfangs so freundlichen Menschen, setzte ich mich zu Bianca ins Auto. Doch woher kam dieser furchtbar stinkende Geruch?
Die Ursache war schnell gefunden. Mein Hündchen duftete nach derbem Stallmist. Bei ihrem Befreiungssprung aus dem Autofenster landete sie scheinbar in einer Jauchenpfütze. Die raffiniertesten Duftbäume, die ich in mein Auto hängte, konnten diesen Gestank nicht übertönen.
Noch Wochen danach roch es nach „Tannenbaum- Stallmist“.
Wie die Prüfung zu Ende ging?
Als die Sonne bereits hinter den Hügeln verschwand, hatten wir an einem kahlen Acker unseren ersten Suchgang, so der Form halber, denn es schien kein Richter mehr interessiert zu sein, diesen „renitenten“ Hund dieses Neulings, der nicht in diese grüne Gesellschaft passt, zu prüfen. Schnell kam der Abpfiff: mangelnde Suche, durchgefallen.
Auf dem Weg zum Auto ging ich kleinlaut und zähneknirschend neben einem rülpsenden Herrn Juror, der mir fachmännisch erläuterte, dass dieser Hund nicht wisse, worum es geht. Das schien für meine rote Rebellin zu viel gewesen zu sein. (Ich war bei diesem Hund immer ernsthaft überzeugt, dass sie die Sprache der Zweibeiner verstand). Plötzlich war sie weg. „Jetzt haut sie auch noch ab“, raunte der Jüngere.
In einem Weizenfeld wurde sie langsamer, begann wie eine Katze zu schleichen und stand plötzlich fest vor. Sie wartete geduldig in dieser Pose bis ich bei ihr war, beäugte mich aus dem Augenwinkel, machte einen Schritt nach vorne und ein Pärchen Hühner strich ab.
„Zu spät“ tönte die Stimme des Richtergottes. „Die Sache ist bereits beendet!“
Nein, dies war erst der Anfang. Ich hätte es dabei belassen sollen. So wären mir viele traurige Bilder erspart geblieben. Aber der Setter ist doch ein Jagdhund. In ihrem Stammbaum war das alte irische Jagdhundegeschlecht ordentlich vertreten, glücklicherweise waren es damals noch Hunde, die als Setter zu erkennen waren. Die späteren Generationen, die nach Deutschland gebracht wurden, ließen vom Aussehen her den Irish Setter nur noch erahnen.
Wir erlebten noch herrliche Tage im Feld und Bianca setzte sich durch gegen namhafte Konkurrenten und ihren Führern mit großen grünen Hüten und Gamsbart, die ewig Waidmannheil brüllten, so als könnte man nicht „Guten Tag“ sagen.
Wir haben zusammen Italien bereist, im Zelt geschlafen, im Meer geschwommen, mit Frauen geflirtet oder sie verbellt, leider meist die hübschen, und unsere improvisierten Mahlzeiten geteilt.
Natürlich hatten wir auch mächtig Stress, bis klar war, wer Hund und wer Herr. Als die Rangordnung, stand, hielt die „Abmachung“ ein ganzes Hundeleben.
Meine Hundedame genoss ihren Lebensabend.
Auch im hohen Alter entging ihrer Nase kein wohlriechendes Düftchen, unsere Spaziergänge wurden kürzer, zuletzt nur noch bis zur Fasanenvoliere.
Als sie auch dazu nicht mehr bereit war, wollte sie nur noch einschlafen.
Diese Momente des Abschiednehmens, aufgereiht zwischen so vielen hellen, lebendigen Gedanken, sind stumme Erinnerungen, nicht bestimmt für die Öffentlichkeit, ein kleiner, trauriger Teil einer herrlichen Freundschaft.
Denise, die englische Lady
Sie war eine echte kleine englische Prinzessin und sie war als Baby so schön, wie ein Setterkind nur sein konnte.
Wer hätte es gedacht, dass dieses kleine zarte Hündchen geboren wurde, um die Begründerin und Stammmutter eines großen Settergeschlechts zu werden.
Sie wurde 1982 in ein Jahr voller Widersprüche hineingeboren: Helmut Schmidt geht, Kohl kommt. Abba gibt es nicht mehr und der große Stern Romy Schneider erlischt in Paris für immer. In einer schmutzigen Kleinstadt liegt ein Starwelpe in einer alltäglichen englischen Wurfkiste, der dem Zeitgeist entsprechend „ Dutch Peace“ genannt wird, und Nicole singt den Wunsch aller Deutschen in die Welt: „Ein bisschen Frieden“…
Ich wollte keine Kosten und Mühen scheuen, um ein Setterkind von dieser Mutterhündin zu erwerben. Zahlreiche Fotos der Elterntiere pflasterten meinen Schreibtisch. Sah ich auf Ausstellungen Halbgeschwister, war ich aus dem Häuschen.
Ein langes Jahr Wartezeit wurde mir auferlegt, bis der Anruf aus Großbritannien erfolgte, dass die Welpen geboren sind und es mir gestattet sei, den Kaufpreis zu überweisen. Während sich die „Kosten“ im Rahmen hielten, begannen die „Mühen“ schon mit der Überfahrt.
Ein stürmisches Meer mit seekranken Passagieren, welche unentwegt versuchten, auf ihrem verzweifelten Gang zur Toilette das Gleichgewicht zu halten. Die vielen blassen Engländerinnen mit Kindern in kurzen Hosen, halb erfroren, oder Männer mit Bierflaschen, die dem Seegang trotzten.
In all diesen Stunden bläute ich mir ein, dass der Zweck die Mittel heilige und ich schon wusste, wofür ich diese Strapazen in Kauf nahm. Doch dies war erst der Anfang des Abenteuers. Ein spannender Tag in London nach einer durchwachten Nacht auf einer Ausstellung zwischen dreihundert Irish Setter, im Schlepptau zweier Damen mit Weltruf Janice und Willy, die Begründerinnen der Dynastien Cornevon und Westerhuy und immer wieder am Stand einen kleinen Whisky auf die neue Freundschaft und angeblich gegen Müdigkeit.
Diese kam dann auf der zweihundert Kilometer langen Fahrt zu dem kleinen roten Etwas, diesem roten Knäuel, dass vielleicht mal ein Setter werden sollte.
Linksverkehr, englischer Regen, ein ordentliches Tempo um unseren englischen Gide, der vorausfuhr nicht aus den Augen zu verlieren und immer wieder Kreisverkehr.
Endlich kamen wir an, mit Klein-Denise in meinem Arm schlief ich auf einem Sofa ein. Diese Angewohnheit sollte sie noch einige Monate beibehalten.
Es war der einzige Weg, der mich vor Überraschungen bewahrte und in mir die Suggestion von einem stubenreinen Hund festigte.
Sie war so anders als unsere Bianca.
Denise liebte Menschen, Ausstellungen, Fußgängerzonen. Bianca fühlte sich in Pfützen und Tümpeln oder in einem Feld voller Rebhühner und Kletten wohl. Aber sie mochten sich auch gegenseitig und wenn Not am Mann mit Flasche war, säugten sie gemeinsam die Welpen.
Denise liebte das Extravagante, sie war eine Räuberin mit Format. Einen Kuchenteller aus Meissner Porzellan transportierte sie heil -samt Inhalt - von der Küche auf die Terrasse in ihren Korb. Die Form war unversehrt, der Inhalt fehlte.
Hundefutter war unter ihrer Würde, Pfannkuchen hingegen „hatte sie zum Fressen gern“.
Vor den Ausstellungen verschmähte sie auch diese, nun war Käse in sämtlichen Variationen gefragt.
Sie war ein Hund mit menschlich geprägter stilistischer Vollendung. Die Rosen im Garten wurden Opfer ihrer ungestümen Jugend. Als sie eines Nachmittags mit einer roten Rose im Fang vor mir saß und mich mit ihren Knopfaugen ansah, war der Grundstein für die Sippe der „Red Loves“ gelegt und der passende Namen gefunden.
Sie war bei Herbstaufnahmen von Modezeitschriften im Heidelberger und Stuttgarter Raum ein nicht wegzudenkendes Accessoire für rothaarige, sommersprossige Mannequins. Wenn sie zum Abschied von ihresgleichen geknuddelt wurde, war für sie der Tag in Ordnung.
Auf Ausstellungen war ihr der zweite Platz und die Konkurrenz verhasst.
Lief aber alles nach ihren und meinen Vorstellungen, sprang sie mir vor Freude auf den Arm oder kläffte ohrenbetäubend.
Sie war die Henne im Korb und gab im Hause „ Red Love“ den Ton an. Ihr Hochmut geriet nur einmal ins Wanken: Als deutscher Hundestar besuchte sie ihre Mutter, die in den Niederlanden ihren Lebensabend verbrachte.
Ihr ungebremstes Selbstbewusstsein führte sofort zu einem Mutter-Tochter Konflikt, dessen Ausgang für die kleine Diva wenig ruhmreich war. Sie kauerte in einer Ecke der Couch während ihre Mutter drohend auf dem Couchtisch stand. „Lass sie nur“, sagte ihre Ziehmutter, das ist Familie, da soll man sich nicht einmischen.
Wieder in Deutschland hielt die Betroffenheit nicht lange. Am darauf folgenden Sonntag auf dem Hundeplatz war sie wieder in ihrem Element und sorgte bei ihren Artgenossen für (Unter-)Ordnung.
Showmäßig waren ihre Möglichkeiten auf Menschen- und Hunde-Ebenen fast ausgeschöpft.
Es blieb nur noch das Fernsehen, ich war ein eifriger Manager und ebnete ihr auch diesen Weg.
Eine Tiersendung bei RTL wollte endlich diese einmalig schöne Hunderasse vorstellen. Ein Film über Setter, tobend auf einer grünen Wiese oder einem Kaninchen vorstehend, bildete den Rahmen für den großen Studioauftritt der Diva: Drei rohe Eier, versteckt im Publikum, sollte sie finden und in unversehrtem Zustand dem Moderator apportieren.
Es war ein aufregender Tag für alle: Unsere Freunde waren dabei, einige Artgenossen, Tierdoktorstar….und die schöne, weitgereiste…. Jürgens.
Natürlich auch zwei Wettkandidaten, der eine dafür, der andere dagegen. Und natürlich gewann der Jasager.
Wenn ich so richtig überlege, der Anfang von „Wetten, dass“, dies lange vor Elsner und Gottschalk.
Die englische Lady meisterte ihren Auftritt mit Bravour, das Publikum klatschte artig, ihre Artgenossen jaulten vor Freude und sie verließ stolz die Bretter, die, die für die Menschen die Welt bedeuten.
Ihre wirkliche Bühne war der Hundeplatz, wo sie manchmal ihre Kinder und Enkelkinder in ihrer spröden englischen Art maßregelte; gelegentlich betrat sie aber auch die Ausstellungsbühne, natürlich um zu gewinnen.
Sie verbrachte ihren ruhigen Lebensabend mit uns, oft auf Reisen oder im Urlaub am Lago Maggiore, häufig in Begleitung ihres Sohnes Captain, der seit vielen Jahren an einem geheimen Ort an ihrer Seite ruht, bedeckt von grünem Rasen.
Die zwei feindlichen Brüder Captain und Condor
Das Jahr 1985: Der Boris aus Leimen gewinnt als Siebzehnjähriger das Grand Slam Turnier in Wimbledon und einige Kilometer entfernt in Bammental werden gleich zwei „ganze Kerle“ geboren: die Setterbrüder Captain und Condor - und auch sie verfügen über eine außerordentliche Schlagkraft, so dass es damals auch dem arrogantesten Schäferhund nicht einfiel, sich ihnen in den Weg zu stellen.
Captain
Condor
Die Literatur kennt den Begriff der Schwarz-Weiß-Malerei: der zahme, freundliche, friedliebende Karl Moor und der hässliche, böse Franz in Schillers Räuber.
Doch die moderne Welt ist komplizierter. Gut ist oft mit Böse vermischt und Schön oder Hässlich hängt oft vom Betrachter ab.
Die Hundewelt aber ist noch komplexer, da die Perspektive der Menschen eine Rolle spielt.
Natürlich kann ein Hund als Abbild seines Menschen nur schön sein und ein Setter erst recht.
Captain und Condor waren beide schön wie ein Setter nur sein kann, doch sie waren beide eitel und jeder von beiden gönnte keinem anderen Vierbeiner etwas, am wenigsten seinem Bruder.
Es war die Glanzzeit der Settertreffen; mit Hundeplätzen voll von feinen Heidelberger Damen, die mit einem roten Hund und einer Picknicktasche aus dem Feinkostladen anreisten.
Wahre Köstlichkeiten, was man von den Hunden, die die High Society Damen hinter sich her zogen, nicht unbedingt sagen konnte. Es war die Zeit, als die Setter noch Modehunde waren und die Pfalz als Heimat der Züchter ihr Bestes gab.
Sportwagen parkten vor unserem Hundeheim, Damen in Cartier und Herren in neonfarbenen Freizeitanzügen mit unerzogenen Hunden stiegen aus.
Nach fünf Minuten gab es das erste Gekreische, wenn zwei Nobelknaben sich verbissen hatten. Natürlich mischten Captain und Condor mächtig mit.
Respekt zollten sie nur ihrem niederländischen Vater, der für drei Monate zu uns zu Besuch kam, um das Vorstehhandwerk zu erlernen, ein Unterfangen, das leider nicht von Erfolg gekrönt war. Wenn aber seine halbstarken Söhne es mal wieder übertrieben, baute er sich auf, knurrte einmal und Ruhe kehrte ein.
Captain war schön, ein Liebling der Frauen, sanft zu Menschen, aber unerbittlich zu seinen Feinden.
Condor punktete immer im Feld, aber auch gegen Schäferhunde, Füchse und Marder.
Seinen ersten „offiziellen“ Sieg holte er sich in Bayern. Seine ehrgeizige junge Besitzerin führte ihn selbst zur Prüfung.
Einer der Richter, ein Kavalier alter Schule, der gerne Französisch parlierte, drückte der „Mademoiselle“ einen riesigen Colt in die Hand und sie schritt mutig hinter Condor her. Dieser kam in einer Manier zum Vorstehen, wie ich es vorher von ihm noch nie gesehen hatte, voller Spannung, einfach majestätisch.
Ich wusste, was nun folgte, der Fasan wird abstreichen und Condor ihn begleiten: weit, weit bis zum Horizont, so wie er es bei mir bei Enten , Fasanen, Krähen und Tauben immer getan hatte.
Diesmal traute ich meinen Augen nicht, ein Feldhuhn flog weg und Condor stand und wartete und ein zweites Mal war ich verblüfft: „Mademoiselle“ hob die schwere Knarre hoch, ein Schuss hallte über die grünen Weizenfelder und der große Jagdhund folgte nur mit sehnsüchtigen Blicken dem Federvieh.
Der Abend gehörte dem Sieger, denn er war der einzige, der eine Prüfung bestand.
Ich saß in der Ecke der Gaststätte und hörte mir vergnügt die Lobeshymnen über Hund und „Mademoiselle“, der Hundeführerin an.
Ich selbst hatte vorher bei einer Paarsuche mit Condor eine Niederlage bei den zwei größten Richtern aller Zeiten einstecken müssen. Der eine, damals ein junger, verliebter deutscher Gockel, der Condors Besitzerin heiße Liebesbriefe schrieb. Und da sie ihn nicht erhörte, mussten ihr Hund und sein Führer (also ich) dafür büßen. Hätte er doch seine überschwängliche Zuwendung seinen eigenen Hunden zukommen lassen. Es wäre bitter nötig gewesen.
Der zweite, eine Settermajestät aus Irland, stand im Feld in seinem englischen Lordjakett. Als Condors Partnerin, eine junge Pointerhündin, einen Fasan hochmachte und beide diesen mit Gejaule verfolgten, sprach der Mann nur ein kurzes „Thank you“ und strafte uns mit Verachtung. Wenn ich Fernsendungen mit Charles auf der Jagd in Schottland sehe, muss ich an diesen erlauchten Richter denken. Man sagt, die mehr als fünfzig Hunde des noblen Iren brachten in Erdlöchern ihre Welpen zur Welt. Schein und Sein, wie oft erlebe ich auch heute diese Gegensätze in der Hundewelt.
Captain mochte die Jagd nicht, dafür aber die Setterdamen.
Bei einer Ausstellung in Stuttgart sahen wir ein herrliches weibliches Setterexemplar aus dem Elsaß, schön wie eine Göttin. Die Richterin war wenig begeistert, die langen Haare an den Behängen der Hündin störten sie. Dies ist ein Indiz für einen Anfänger im Ausstellungsring und dergleichen muss aus Richtersicht nicht unbedingt gewinnen.
Dafür waren Captain und ich umso mehr begeistert und Monate später erblickten zehn Welpen in einem Penthouse in Straßburg das Licht der Welt und die nächste Generation des edlen Geschlechts der Red Loves war geboren.
Durch einen unglücklichen Zufall musste sich Condor das Liebesspiel des Paares mit ansehen und eine Feindschaft fürs ganze Leben begann.
Beide ignorierten sich, wenn ich dabei war und prügelten sich, wenn ich ihnen den Rücken zuwandte.
Sie waren in der Lage, die Zeit bei langen Fahrten stundenlang zusammen auf der Ladefläche meines Kombis zu verbringen, der eine nach rechts, der andere durch die linke Scheibe blickend.
Doch die dramatische Zuspitzung der Fehde kam bei den Dreharbeiten für eine RTL- Produktion.
Tiersendungen erhöhen die Einschaltquoten und Setter waren „in“.
Eine herrliche grüne Wiese und zwei Dutzend spielende Setter als Aufmacher und jeder ein Star.
Die mahagonifarbenen Haare glänzten in der Sonne, die Fernsehleute waren begeistert und Captain und Condor waren natürlich der Mittelpunkt.
Jeder gab alles, um die Aufmerksamkeit des Kameramannes auf sich zu ziehen. Condor warf sich in Vorstehpose, obwohl auf den ersten Blick kein Wild zu sehen war – später suchte ein stattlicher Hase das Weite; Captain stellte seine Männlichkeit zur Schau und flirtete mit der Dame von der Regieassistenz.
Das war für Condor zu viel. Eine Streicheleinheit der Lady brachte das Fass zum Überlaufen. Die beiden hatten sich wiedermal in der Wolle.
Ich musste schnell reagieren, die Show drohte zu kippen.
Ich sah schon die Bilder vor mir: Keifende, rote Monster und eine Hunde- und besonders eine Menschenwelt, die sich kaputt lacht.
Ich tat das, was man in solch einem Fall nicht tun soll. Ich griff dazwischen, um die Streithammel zu trennen, was mir auch gelang.
Der Preis meines Einschreitens war ein dünner roter Strich über dem Daumen meiner rechten Hand.
Ein Freund klebte mir dezent ein Pflaster darüber. Das Kamerateam war so mit sich selbst beschäftigt, dass es den Vorfall nicht sah oder sehen wollte.
Für die beiden Kampfhähne war es ein Glück, dass ich den Übeltäter nicht ausmachen konnte. Für beide stand die Chance fünfzig zu fünfzig.
Noch Jahre später, wenn ich mir die Aufzeichnung der Sendung ansah, amüsierte ich mich über meine rechte Hand, versteckt in der Tasche meiner Wachsjacke.
Beide Knaben wurden uralt, geliebt von Hundedamen zwecks Arterhaltung und vergöttert, verwöhnt und verstanden von Menschendamen.
Diese unheimliche Übereinstimmung der Gefühlswelt von Mensch und Hund wird in der modernen Wissenschaft immer wieder thematisiert, doch warum gibt es gerade die Wahlverwandtschaft zwischen Setter und Frauen, frage ich Marion, die sich mit Bisou und Jela (beide die siebte Generation nach Captain) auf unserer Terrasse in Frankreich sonnt?
Danae, Mademoiselle de Strasbourg
Sie stammte aus dem Geschlecht „ vom Kleinen Mimosenweg“, das wie ein Stern am Hundehimmel aufging und kurz darauf auch verschwand, doch hell genug, um in vielen Generationen weiter zu glühen. Französisch klingt es wie ein Gedicht: „du Sentier aux Mimosas“.
Bei einem Glas Champagner erzählten uns die jungen Züchter etwas verschämt, dass ihre Zucht nach dem kleinen Weg voller Mimosenblüten in der Provence benannt ist, da dort ihre Liebe begann.
Mademoiselle war schon in der Wurfkiste empfindlich wie eine Mimose, diese zarten Blumengeschöpfe des Südens, die ihre Blätter bei unerwünschter Berührung zusammenfalten. Wenn sie jemanden nicht mochte, wandte sie sich ab und verschloss sich, denn sie hatte bis ins hohe Alter eine ausgezeichnete Menschenkenntnis.
Geboren wurde sie standesgemäß in einer französischen Penthouse-Wohnung über den Dächern von Strasbourg. Man hatte kurzerhand das Arbeitszimmer geräumt, mit einer Folie ausgelegt, die Zahnarztpraxis für zwei Monate geschlossen und Welpen betreut. Der ach so typische Welpengeruch strömte ungeniert durch das Haus und wies dem Besucher den Weg vom Aufzug in die Wohnung.
Später, in Deutschland, verwandelte sie sich in eine aufreizende Rose mit kräftigen Dornenansätzen, die sie auch brauchte, um der Sippe ihres Vaters, den Red Loves, gerecht zu werden und um mit ihrer Oma Denise klar zu kommen, die sie mit einer unsanften Begrüßung in der neuen Heimat empfing.
Es begann eine Woche der Provokationen: An den Ohren ziehen oder gezogen werden, was meine damals kleine Tochter scheinbar zu der Aussage bestärkte: „Ich lass mich von keinem er – ziehen!“, ein Satz der zu einem „geflügeltem Wort“ in unserer Familie wurde.
Als die Woche zu Ende war, wanderte die kleine Französin mit dem elsässischen Durchsetzungsvermögen um des lieben Friedens willen in das Nachbarhaus zu Tante Olga. Sie baute sich ihre eigene Residenz auf mit zwei lieben Menschen und einem Dackel als ihre Diener. An ihrem Anrecht als zukünftige Stammmutter hielt sie aber fest. Sehr früh stieg sie zur Sippenmutter auf und wartete huldvoll, dass die anderen Familienmitglieder ihres Rudels sie stets mit Schnauzeschlecken auf Wolfsart begrüßten.
Sie zählte zu den ersten Europäern der Setterwelt: Enkeltochter des großen Nightfever aus England, geboren in Frankreich, Wohnsitz in Deutschland, verliebt in der Schweiz.
Für Ausstellungen kehrten wir oft nach Strasbourg zurück, sie hatte „Hausrecht“, denn sie gewann immer. Hier traf sie auch ihre Brüder Dali, den Exzentriker, schön und erhaben, und Dollar, der Bodenständige, der Cowboy aus dem Film „Für eine Handvoll Dollar“.
Sie hatte mich auserkoren und sich für mich entschieden, sie vertraute mir bedingungslos, wir hatten zusammen viel erreicht und jetzt träumten wir (ich) vom Weltsieger. Eine einmalige Gelegenheit: Weltsiegerausstellung in Deutschland, eine Richterin, die sie mochte, die mich mochte. Was konnte schon schief gehen?
Das Unheil begann, als ich feststellte, dass der Tag der Ausstellung mit dem Abiturtermin an unserer Schule zusammenfiel. An jedem anderen Tag hätte ich mich „freigebettelt“, freiwillig Sitzungsprotokolle geschrieben, was ich nie tat oder jede unmögliche Ersatztätigkeit übernommen, aber Abi war eine hochoffizielle, hochernste Angelegenheit für alle Beteiligten, heute scheinbar nur noch für die Lehrer, denn ein Schüler muss sich heute gewaltig anstrengen, dass ihm dieses Reifezeugnis versagt bleibt.
Zähne knirschend ging ich in mich und fand eine Lösung. Eine Freundin sollte Danae mit zur Ausstellung nehmen, dort sollte sie meine erhabene „Hundementorin“ Willy vorführen. Diese willigte ein als ich ihr versprach, einen französischen Cognac in den Ausstellungsbeutel zu stecken.
Also saß ich beim Abitur und wartete auf den Weltsieger.
Ich musste mich bei meinen Fragen an meine Schüler höllisch konzentrieren. Es ging um Goethe in Strasbourg, seine Friederike aus Sessenheim - und ich dachte an meine Elsässerin auf der Welthundeausstellung.
Abends kam der niederschmetternde Anruf. Alles ging daneben. Danae weigerte sich von Anfang an einer Fremden zu folgen. Sie befreite sich einfach von der Ausstellungsleine und verließ pikiert den Ring.
Wahrscheinlich empfand sie es als Verrat, sie allein in die große weite Welt zu schicken, nur wegen eines Weltsiegertitels.
Wir versuchten es noch einmal gemeinsam auf der Welthundeausstellung in der Schweiz, doch das Pech verfolgte uns. Diesmal gaben wir als Team unser Bestes, doch der südamerikanische Richter ignorierte uns, da er sich mehr, scheinbar bedingt durch sein Temperament, auf seine flotte Ringsekretärin konzentrierte. Vielleicht eine böswillige Unterstellung. Dennoch kamen ihre Titel, der einer Diva gleich: Internationale Schönheitskönigin und Miss Deutschland und einiges mehr.
Doch Schönheit ist nicht alles. Danae wurde 1988 geboren. In diesem Jahr erlebte in Deutschland der weibliche Leistungssport seine erste Sternstunde. Als erste Deutsche gewann Steffi Graf alle vier Grand-Slam-Turniere. Der Sieg über die Argentinierin Gabriela Sabatini bei den US-Open hatte eine sensationelle Pokalserie vollendet.
Für eine Serie reichte es nicht, dafür aber für eine korrekte Prüfung in Bayern, zwar mit einem bescheidenen „gut“, zu dem sich der Richter herabließ, aber dennoch bestanden. Angeblich war ihre Spannung beim Vorstehen nicht so ausgeprägt, da sie einmal den Kopf suchend zu mir drehte, es war nämlich ein regnerischer Tag und der aufgeweichte Boden machte es mir schwer ihr zu folgen. Sie dachte wohl: „Wie lange soll ich noch vor diesem doofen Rebhuhn stehen?“ Doch wahrscheinlich war sie zu schön für seine Vorstellung von einem Leistungshund.
Dass muss der große Richter wohl gesehen haben, obwohl sie doch in eine Schicht von Lehm gehüllt war und wir es am Abend nicht wagten, mit diesem Hund das Hotel zu betreten.
Vielleicht wollten wir auch nach Hause, da die Herberge kalt und ungemütlich war.
Ihr Glück mit den Männern hielt sich in Grenzen.
Sie war ihnen nur in ganz wenigen Tagen, die durch ihre Hormone bestimmt waren, zugetan.
In der restlichen Zeit mussten die Kavaliere stets eine Tracht Prügel in Kauf nehmen, inklusiv ihrem Vater.
Ihr erster Mann war ein sanfter Engländer, der das große Glück hatte, auf einem idyllischen Bauernhof in der Nähe von Zürich zu leben. Hier war die Hunde- und Menschenwelt in Ordnung.
Vielleicht war das der Grund, warum sie ihn nicht schroff wie die anderen zurückwies oder war hier ein heimliches Wissen, dass es ihre Pflicht war, die Gene dieses Irishman, das war auch sein Name, für die Setterwelt zu erhalten. Deshalb kehrte sie noch ein einziges Mal zu ihrem Züchter zurück, der diese Verbindung wollte, um die Linie der „du Sentier aux Mimosas“ fortzuführen, nachdem die Schwester von Danae durch einen Autounfall ums Leben gekommen war
Einige Wochen nach dem Liebesakt kam auch dieser edle Rüde auf eine tragische Weise ums Leben.
Wiederum einige Wochen später wurden die zwei Stammhalter „Feu“ und „Fleur“ geboren.
Danae versuchte ihr Glück noch zweimal, einmal mit einem Holländer und ein letztes Mal mit dem großen Kindskopf Frederik.
Ice Ice Baby sollte die Dynastie der Strahlenburgs aufbauen und der Anblick der Kinder von Frederik ließ jedes Herz eines Setterliebhabers höher schlagen. Klangvolle Namen und ausgereifte Perfektion:
Kissing Doll, Grace Kelly, Kaschmir, Kouros.
Viele Jahre später stand ein trauriger Mann in Strasbourg am Ausstellungsring. Die heile Penthousewelt hatte sich zerschlagen und die Setter blieben auf der Strecke.
An einem jener stillen Abende, die geschaffen waren, dass Hunde und Menschen sich wie ihresgleichen unterhielten, versprach ich der kleinen Französin, den Namen ihres Geschlechts in den der Red Loves zu integrieren.
Es entstand ein Strauß starkduftender roter Rosen und zarter gelber Mimosen: The Red Love of Mimosa, voller Widersprüche und sich dennoch ergänzend wie alles Große in unserer Welt.
Feu, der stolze Franzose
Feu du Sentier aux Mimosas (Das Feuer aus dem Mimosenduft), er hatte alles was man sich bei einem Setter wünscht: Adel, Überlegenheit, Jagdpassion. In einer Zeit als die Setter noch massig und behäbig sein sollten, war Feu das Gegenteil: elegant, geschmeidig, edel im Ausdruck, die Haarpracht in einem satten Mahagoni.
Die Welt war im Umbruch. Das Jahr 1990 war ein Wendepunkt in der Geschichte. Die beiden deutschen Staaten wieder ein gemeinsames Land, das am 3. Oktober seine Wiedervereinigung beging. Trotz aller Schwierigkeiten überwog die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben in einem ungeteilten Land und in einer endlich nicht mehr geteilten Hauptstadt Berlin. |
Was zählt in einer solchen Zeit schon die Geburt eines kleinen Setters. Für alle anderen bestimmt gar nichts für uns sehr viel. Unsere Setter waren Teil unseres Lebens und über diesen Wurf freuten wir uns. Es sollte ein französischer sein, um die „Der Mimosen“ nicht aussterben zu lassen, da Danaes französische Schwester durch einen Verkehrsunfall ums Leben kam.
Die Körung in Frankreich in der Champagnerhauptstadt Reims hatte einen symbolischen Charakter. Sie war der Anfang der Creation eines Cuvés aus den besten Zutaten, nicht übertrieben abhebend, dennoch ein erlesenes Bouquet, ähnlich einem Veuve Cliquot mit dem wir die Körung begossen. Der Richter sagte: „Ein exelent kann ich geben, besser geht nicht“.
Feu trug also den Familiennamen seiner französischen Mutter und war ein Enkel des alten Kapitäns, den er zeitlebens hasste. Hier trafen zwei Gegensätze aufeinander: der alte deutsche Haudegen, ein selbstherrlicher Bismarck und sein Enkel ein kleiner Napoleon, selbstbewusst und eitel. Und die Geschichte wurde neu geschrieben; keine Demütigung der Franzosen im Spiegelsaal von Versailles, der Alte musste zurückstecken und in schwierigen Zeiten ins Exil, wenn auch nur über die Straße.
Ohne den störrischen Großvater war seine Kindheit unbeschwert. Seine Spielgefährtin Heidel wurde seine Jugendliebe und beide übten schon im kindlichen Alter, um für den Fortbestand der Red Loves zu sorgen. Als es dann so weit war, sah man, dass das Üben sich gelohnt hatte, denn der Kindersegen fiel doch zu reichlich aus: 16 Welpen!
Einer seiner Söhne aus diesem Wurf Julius genannt Joli sollte seine Gene weitertragen. Obwohl sein Besitzer ein Mann voller Güte und Toleranz im Umgang mit Joli, stets der Meinung war, dass Joli alles richtig machen möchte und ich ihm natürlich nicht widersprochen habe, war ich immer der Meinung, dass dieser Bengel, doch mehr von den Anlagen oder Nichtanlagen seines niederländischen Großvaters Harvey, der für mich nicht der Hellste war, mit bekommen hatte.
Wunderschön war das gemeinsame Feldtraining in den Wormser Rheinauen, wo Julius emsig die Hasen hetzte. Für Den Sohn blieb deshalb der Prüfungserfolg auch aus, während Vater Feu im tiefsten Bayern bei einer Frühjahrsprüfung mit einem Vorzüglich Tagesbester wurde.
In einem Weizenfeld am Rande eines kleinen bayrischen Dorfes sollte Feu sein Können unter Beweis stellen. Bedingt durch die Windrichtung war die Suche Richtung Ort angelegt. Der Franzose arbeite schnell und zielstrebig, plötzlich stand er fest vor. In der Ferne sah ich, die Hühner im Garten eines Bauerhofes. Das also war das vermeintliche Wild. Ich brach die Suche ab und versuchte ihn abzurufen, er kümmerte sich wenig um mein Gepfeife und stand weiter fest vor. Der Richter, ein erfahrener freundlicher Knabe, rief mir zu, dass ich endlich zum Hund gehen sollte. Als ich einige Meter von diesem entfernt war, strich ein Fasan ab und Feu äugte ihm verliebt nach. Ein Vorzüglich im Feld ist ein Preis für Könige!
Majestätisch war auch seine Rückkehr in seine Hauptstadt. Paris lag ihm zu Füßen. Es war die wichtigste französische Ausstellung des Jahres, das Championat de France in Longchamp bei Paris.
Als wir in den Ring kamen, ging ein Raunen durch die Zuschauer: “das ist Feu!“. Er gewann alles, wurde Rassebester. Die ergreifende Darbietung im Ehrenring wird mir immer in Erinnerung bleiben. Alle Zuchtrichter in Schwarzem Barett erhoben sich bei jedem Sieger von ihren Plätzen.
Unter den Klängen der deutschen Nationalhymne betraten wir den Ehrenring und das Publikum applaudierte. Erinnerungsfotos mit der Sacre Coeur als Hintergrund. Rien ne va plus!
Doch der Tag war noch nicht zu Ende. Am späten Nachmittag besuchten wir Freunde auf ihrem Landgut in der Nähe von Paris, um Feus Kinderschar, das Produkt einer amourösen Beziehung mit einer französischen Hundedame, die uns mit ihrer Besitzerin in Bammental besuchte, zu bestaunen.
Zehn kleine Setterlein tummelten sich auf dem alten Anwesen mit hohen alten Steinmauern zwischen Enten, Fasanen, Wachteln und allem möglichen Federvieh. Das aufregendste war das Fotoshooting: Vater, Mutter, Kind. Die Kleinen hatten bereits ein neues Zuhause gefunden, die meisten scheinbar bei Damen der Pariser Gesellschaft, die überglücklich zwischen dem Federvieh und dem, was dieses von sich ließ, herumbalancierten und gekonnt in die Kamera lächelten.
Natürlich bestand das Menu am Abend vom eigenen Hof: Wachteln und ihre Eier, Gänseleber und Entenbrust und vieles mehr.
Natürlich servierte der Hausherr einen ausgezeichneten Champagner, da dieser zu Feu passe.
Das Prachtstück der Liebe war die kleine Mirtille, die natürlich als Erbprinzessin auserkoren war und die munter auf dem Teppich ihre Pfützchen verteilte.
Sie trat in die Fußstapfen ihrer Eltern und jedesmal, wenn sie mal wieder einen Sieg heimholte, und es waren zahlreiche, kam ein Anruf: Mirtille as gagne( M. hat gewonnen).
Heute sind Mirtille und ihr Besitzer im Menschen- Hundehimmel und erzählen sich Geschichten von ihren gemeinsamen Jagderlebnissen. Angeblich kommt manchmal auch Feu mit Opa Captain vorbei, der gelangweilt aber friedlich zuhört, denn er war nie ein großer Jäger.
Die letzten Jahre seines Lebens störte ihn das Treiben der anderen. Wenn ich mich in Erziehung eines Halbstarken übte, legte er sich hinter einen Strauch oder Baum, um nicht beteiligt zu sein, wie ein alter Philosoph, dem alles Laute zuwider ist. Zudem hatte er sich eine neue Herausforderung gesucht. Er ignorierte mich fast, um sich als treuer Leibwächter meiner Frau widmen zu können, die er auf Schritt und Tritt bewachte, wenn er nicht neben seinem Freund Frederick im Korb lag, der natürlich für beide zu klein war, was sie aber nicht störte.
In seinem letzten Jahr suchte er wieder meine Nähe, sein Kopf wurde kindlicher, sein Blick war der eines müden alten Mannes und ich war dabei als er die Schmerzen nicht mehr ertragen konnte.
P.S.: Eigentlich hatte ich kein Recht diese Geschichte zu schreiben. Feu war nach der ersten Begegnung mit meiner Frau nicht mehr mein Hund. Über ihn zu sprechen, fällt ihr heute noch schwer. „Er hat mich einfach adoptiert“ sagt sie nur.
Frederik - oder wie ein Engländer sein sollte
Er verbrachte seine Kindheit in England und wurde mit Fish&Chips ernährt.
Die englischen Züchter legen seit fast einem Jahrhundert die Maßstäbe für die europäische Setterzucht fest.
Doch welches sind diese Maßstäbe?
Die Antwort ist schnell gefunden: ein einwandfreies Aussehen und ein friedliches Wesen. Wenn man eine Zucht nur auf zwei Kriterien aufbaut, muss das gelingen, wenigstens für eine Zeit, bis die im Erbgut angereicherten Fehler ihren Tribut fordern
Aus heutiger Sicht hat sich diese fatale These, die mir meine „Hausgenetikerin“ damals überzeugend vermittelte, größtenteils bewahrheitet.
Wir äugten schon nach diesen schönen Hunden, ignorierten aber die großen Namen, die jeder Züchter damals in seinem Stammbaum hatte oder haben wollte.
Doch die englische Arroganz kann manchmal verletzend sein.
Wie es in der Adelswelt üblich ist, wurden Hochzeitspläne schon vor der Geburt der Königskinder geschmiedet. Ich sah für unsere Damenwelt aus dem Hause Red Love einen Prinzen aus einer für mich hochinteressanten englischen Verpaarung vor. Als die Königskinder endlich geboren waren, wurde mir die Nachricht zugestellt, dass mir die vierte Wahl von fünf Prinzen zustünde. Das war zu viel des Guten. Wenig vornehm lehnte ich diese Beleidigung ab.
Ein gutes Jahr verging, bis sich die bewährte holländische „Heiratsvermittlerin“ Willy meldete und verlauten ließ, dass der Erste-Wahl-Prinz zu haben sei, da er sich zu gut entwickle. Und da für die Engländer Präsentation und Repräsentation alles ist und da Frauchens Arme von Kopf bis Rutenspitze nicht zum Ausstellen reichten, wäre der zu fesche Prinz für die deutschen Damen zu haben. Natürlich stünde eine stolze Ablösesumme an. Fotos wurden geschickt, Gesundheitschecks (bei aristokratischen Vermählungen durchaus üblich) wurden jetzt trotzig von uns als Gegenleistung verlangt und alles kam wie es kommen musste. Erneut kam ein Anruf: Du kannst Frederik haben, so hieß der große warmherzige Tollpatsch.
Wir traten spät abends die Reise mit der Fähre über einen etwas aufgewühlten Ärmelkanal an, um nach einer schlaflosen Nacht eine Ausstellung mit fast dreihundert Settern zu besuchen.
Was man so sah, war nicht immer nach meinem Geschmack. Besonders die etwas schlaffen unteren Augenlider einiger Aristokraten machten mir zu schaffen, so dass ich in der kommenden Nacht träumte, Prinz Frederik würde mich mit solch einem dämlichen Blick anglotzen.
Am anderen Morgen fuhren wir vor dem Haus der Züchterin vor und mehr als ein Dutzend Setterköpfe und -pfoten hingen neugierig über dem etwa einen Meter hohen Gartenzaun. Da ich die meisten der anderen Hunde der Züchterin kannte (wenn ich einmal einen Setter gesehen habe, bleibt das Bild in meinem Kopf gespeichert), fiel mein Blick auf einen Kopf mit sanften braunen Augen, der sich nach vorne drängte, um ja nichts zu verpassen.
Ich musste nicht raten, welcher Frederik war. Seine kindliche Begeisterung übertraf das Gejaule der anderen und ich blickte in schöne dunkelbraune Augen.
Diese Augen drückten alles aus, was ein besonderes Wesen ausmacht: Zuneigung, Wahrheit, Ruhe und Besonnenheit.
Freudig, neugierig und bereit zu großen Abenteuern sprang er ins Auto und ließ ein Frauchen mit feuchten Augen zurück.
Er trat ja keine Reise ins Ungewisse an. Schließlich wurde in seinem Geburtsjahr mit dem Maastrichter Vertrag die Europäische Union endgültig Realität. Natürlich waren die Briten nie so richtige Europäer, was man von Frederik nicht sagen konnte. Er wurde schnell in der restlichen europäischen Setter-Damenwelt bekannt und ließ sich später seine Liebesdienste auch mit Euros vergüten.
Bis heute weiß ich nicht, ob seine Züchterin sich über die vielen Erfolgsmeldungen Frederik des Großen freute, die ich ihr regelmäßig zukommen ließ, oder ob sie mit dem Schicksal über ihre zu kurzen Arme haderte. Natürlich verpasste ich es auch nicht, ihr viele Fotos von Frederiks Töchtern und Söhne samt Championtiteln zu schicken.
All meine Vorsätze, Frederik anfangs an der Leine zu führen, warf ich schon an der Fähre über den Haufen. Ich leinte ihn ab und er belohnte mein Vertrauen durch seine Treue, die zeitlebens zu seinem Markenzeichen wurde. Es war so, als wäre er in unsere Hundewelt hineingeboren.
Natürlich hatte ich Bedenken, ihn sofort mit unserem zweiten Rüden, Feu, zusammen zu bringen, Deshalb sollte Frederik die ersten Wochen im Erdgeschoss verbringen und Feu auf der ersten Etage bleiben. Diesen Plan vereitelten sie schon nach dem ersten Tag, da Feu Türen öffnen konnte. Als wir von der Schule nach Hause kamen, lagen beide friedlich nebeneinander auf der Couch. Es war der Anfang einer echten Männerfreundschaft, die ein ganzes Hundeleben lang hielt.
Eigentlich wurde er von Feu vom ersten Tag an „unter die Fittiche genommen“. Feu ging keinem Fight mit anderen Rüden aus dem Weg und Frederik konnte sich zurücklehnen und abwarten. Wahrscheinlich dachte er: „Der macht das schon für mich“. Durch seinen majestätischen Wuchs überragte er sowieso alle anderen. Die wenigsten wollten sich mit ihm anlegen und wenn es geschah, wurde das Problem von Feu schnell „beseitigt“.
Natürlich wurde er von Feu auch benutzt. Dieser verstand es hervorragend, die Tür vom Hundezimmer leise von innen zu öffnen, dies ins Besondere, wenn im Wohnzimmer Besucher die Couch „in Anspruch nahmen“. Feu sprang auf das Sofa, öffnete die Tür und wartete, was geschah, denn Frederik stürmte sofort los. Waren die beiden Herren nicht erwünscht, was sich unschwer am Tonfall meiner Stimme erkennen ließ, blieb der „unschuldige“ Feu bequem auf seinem Sofa liegen und gähnte gelangweilt. Kam aber keine Schelte, da hundefreundliche Menschen im Wohnzimmer waren, kam er Sekunden später elegant hinterhergetänzelt.
Ein einziges Mal hatten sich beide „in der Wolle“. Ein Trockenblumenstrauß fiel aus der Vase und jeder wollte ihn haben. Meine Frau schlug ihn beiden „um die Ohren“ und es herrschte wieder „Burgfrieden“.
Frederik war voller Güte, alles Böse war ihm fremd. Er mochte Menschen, andere Hunde und am meisten mochte er unsere Kinder.
Auf dem Rücksitz des Fahrzeugs lag er stets zwischen den beiden, während die anderen Vierbeiner sich den Kofferraum des Kombis teilen mussten. Feu natürlich nicht, der lag im Fußraum des Beifahrersitzes auf den Füßen meiner Frau.
Frederiks absoluter Lieblingsplatz war auf dem Schoß meiner Tochter, die damals 10 Jahre alt war, obwohl nur die Hälfte des großen Kerls auf diesen passte. Wurde auf einer Ausstellung „Kind mit Hund“ angeboten (eine Veranstaltung am Rande einer Ausstellung, um mitgereiste Kinder vor Langeweile zu bewahren), waren beide dabei und gewannen. Scheinbar reichten die Arme meiner zierlichen Tochter aus oder Freddie, wie sie ihn nannte, hat sich einfach klein gemacht.
Dieser „Kuschelbär“ hatte aber auch ein zweites, ein offizielles Gesicht. Bei Ausstellungen wollte er gewinnen und er gab alles: Charme, Haltung und Power in der Bewegung. Wenn er als Sieger den Ring verließ, triumphierte er. Was die anderen nicht sahen, jetzt kassierte er die Belohnung - ein Käsebrot, das ihm meine Frau zuvor gerichtet hatte und das er sich immer abholte, auch wenn es mit dem Gewinnen mal daneben ging. Dann überspielte er die Situation und war glücklich, denn ein Käsebrot steht nur dem Sieger zu.
Im Eiltempo räumte er alle Titel ab. Sein englischer Landsmann, den es fast zeitgleich auch nach Deutschland verschlug, hatte das Nachsehen, was mir dessen Besitzer bestimmt bis heute nicht verziehen hat. Für viele ist Ausstellen alles. Wenn sie nur wüssten, wie wenig Hunde sich daraus machen, wenn dieser Stress nicht mit einem schönen Spaziergang im Grünen als Vergütung endet oder eben mit einem Käsebrot.
Er war ja zu den Richtern „ach so freundlich“, was sie in ihren Berichten stets festhielten, wahrscheinlich nur um die Prozedur schnell zu beenden, da das Käsebrot wartete. Darauf bestanden er und Feu auch bei Übernachtungen in Hotels. Am Morgen gingen wir zum Frühstück und beide blieben relaxt liegen, denn sie wussten, dass ihre Gönnerin nicht ohne zwei reichlich belegte Brötchen zurückkam.
Unvergesslich war unsere Reise nach Korsika. Schon vor der Abfahrt lag Frederik auf dem gepackten Koffer, wohl aus Angst vergessen zu werden. An der Fähre wollten wir vermeiden, dass unsere unangemeldete Hundemeute den italienischen Beamten auffiel, also baten wir die Kinder , was natürlich pädagogisch verwerflich war, über Frederik, der wie immer zwischen ihnen lag, ein großes Handtuch zu legen. So präpariert fuhren wir zur Zollabfertigung. Frederik konnte seiner sprichwörtlichen Neugierde einmal mehr nicht Herr werden und richtete sich plötzlich in seiner vollen Größe zwischen den Kindern auf. Die Zöllner waren beeindruckt: „Bello cane!“ Schmunzelnd winkten sie uns vorbei.
Und Frederik genoss dieses wilde Korsika. Diese urigen Fischer, die ihre Netze in die Fluten warfen und wenn sie einen Fisch erwischten, den Kopf sofort im Meer entsorgten, waren seine Freunde. Er sammelte die Köpfe, die das Meer an Land spülte, ein und verspeiste sie genüsslich, während unser französischer Gourmet Feu sich degustiert abwandte: „Dieser Fischfresser aus England fühlt sich an seine Kindheit erinnert“, dachte er wohl.
Die Verlockung muss sehr groß gewesen sein, so groß, dass er sogar seine Wasserscheu überwand um an die köstlichen Happen zu gelangen. Vielleicht lässt er sich auf diese Weise sogar zum Schwimmen „überreden“, dachte ich mir und versuchte es an einem kleinen ruhigen See in der Nähe. Zureden, Belohnungshappen - alles vergebens. So lange er im Wasser stehen konnte, war es gut, danach hörte für ihn der Spaß auf. In der Zwischenzeit hatten sich einige Schaulustige versammelt, die scheinbar viel Zeit hatten und mit ihren Ratschlägen sich nicht zurückhielten. Genervt schwamm ich über den kleinen See. Auf der anderen Seite angekommen, musste ich verblüfft feststellen, dass Frederik neben mir stand. Sein Vertrauen in uns Menschen war eben grenzenlos. Er schüttelte sich genüsslich und blinzelte mir zu als wollte er sagen: „Schwimmen wir zurück“, was wir problemlos auch bewältigten.
Diese Seite zeigte er auch bei der Feldprüfung. Der kleine Franzose hatte bereits bestanden, da wollte er nicht zurückstehen. Es war ein warmer Frühlingstag in Bayern. Der Richter begrüßte uns mit dem Satz: „Wenn‘s mit dem Hund jagen wollen, müssen‘s ihn zuerst scheren“ (Wenn sie mit dem Hund jagen wollen, müssen sie ihm zuerst die Haare abschneiden). Das kann ja heiter werden, dachte ich mir.
Frederik gab alles, er fegte über Spargeläcker, stand Federwild an einem Wassergraben fest vor - gut, dass das Federvieh endlich abstrich, gut, dass es den Graben gab. Der Richter war noch nicht überzeugt, dieser Hundetyp passte nicht in sein Setterbild, was mich nicht wunderte, als ich seinen Rüden aus der Leistungszucht sah. Also ging es in einen anderen Teil des Jagdreviers. Als wir aus dem Auto stiegen und die lieben Häschen nur so flitzten, begriff ich, warum wir hier gelandet waren. Eine kleine Hasenhetze und der Richter konnte in sein Jagdhorn blasen, Danke sagen und diesen für ihn so unpassenden Jagdhund mit „Nicht bestanden“ auf die Heimreise schicken.
An diesem Tag war uns das Glück aber hold. Frederik kam natürlich an seinen Hasen. Aus, dachte ich. Ich vergaß die Pfeife und brüllte nur „Frederik, lass ihn!“ Er erkannte, dass es mir ernst war, bremste ab, äugte zum Hasen, dann zu mir, dann wieder zum Hasen, entschied sich dann für mich und blieb.
Der Richter resignierte und Frederik bestand seine Prüfung. Abgekämpft warf er sich in eine Kuhtränke und wir gönnten uns ein herrliches bayerisches Bier.
Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er im Kreis seiner Familie: Tochter Stella, die Enkel Fire und Vito und Enkeltochter Amy - wie ein alter Patriarch, voller Weisheit und Güte. Er genoss die Sonne des Südens, die Liebkosungen der Menschen und ging auf im Nichts, wie alles Reine, Wahre und Große.
Wie klein werden dabei die zänkischen Menschen, die sich anmaßen, über diese edlen Geschöpfe zu bestimmen.
Murielle und Marco, Sanftmut und Stolz
Sie wurden in das unruhige Jahr 1995 hineingeboren: Bosnienkrieg, Massaker von Sebrenica, Ermordung von Rabin.
Unser Alltag war gut durchstrukturiert: Schule, Kinder und Hunde.
Mit unserem englischen Importrüden Frederik wollten wir der Setterwelt zu neuem Glanz verhelfen und da kamen uns Murielle und Marco gerade recht. Beide mit ausgezeichneten Hüften, beide schön und beide in unserem direkten Umfeld. Murielle bei Olga , einer Nachbarin und Hundemutter, und Marco bei unserem Freund Wolfgang.
Sie war die Blume, zart und zerbrechlich, eine der schönen Töchter von Frederik. Sie war geboren um Liebe zu geben. Ihr trauriger Blick mit ihren sanften Augen wird mir ewig in Erinnerung bleiben, ein Hund als Einzelhund geschaffen und unglücklich im Trubel des züchterischen Alltags.
Es ist erschreckend, wie wenig manchmal bleibt von einem Geschöpf, das zu gut war für diese Welt: Erinnerungen und persönliche Augenblicke, das ist alles.
Ausstellungen waren nicht ihre Sache, sie fühlte sich sichtlich unwohl in diesen überfüllten Hallen voller Menschen und kläffender Hunde. Nachdem ihr eine hektische wohlgenährte Dame tollpatschig im Eingangsbereich einer Halle auf die Pfoten trat, war es vorbei. Sie ließ deutlich erkennen, dass man sie von derartigen Veranstaltungen verschonen möge.
Und dennoch wird sie in der der Setterwelt durch ihre Söhne Vito und Vanja, zwei stolze Draufgänger, und ihre Tochter Amy, eine Hund, der vom Aussehen und Wesen einmalig war, weiterleben.
Ganz anders war Marco gestrickt. Er liebte die Öffentlichkeit, den Rummel und die Show. Er war selbstbewusst wie sein Besitzer Wolfgang, ein stilvoller Hotelier, ein Herr mit ausgezeichneten Manieren und gutem Geschmack und dies nicht nur was Setter betrifft, obwohl er sich dieser Rasse verschrieben hatte. Vor Marco gab es bereits zwei Setterboys, die sich bis ins hohe Alter von Wolfgang pflegen ließen, einer davon, Ajax, stammte aus dem ersten Wurf meiner Bianca.
Ausstellungen waren ein Event für Marco, Wolfgang und für mich. Wenn ich mit Marco im Ring stand, war Wolfgang nicht weit. Stress ließ sich am besten mit Campari ertragen oder mit Espresso und so bediente mich der alte Charmeur mit seinen Lieblingsgetränken, um mir die Zeit bis zu den Platzierungen erträglich zu machen. Ging Marco als Sieger aus dem Ring, was nicht selten der Fall war, wurde der Abend zum Fest. Für Marco gab es, wie an jedem Abend, trotz aller Proteste meinerseits eine Tafel Milka Vollmilch-Schokolade, das musste sein, da bestand er darauf.
Es war die Zeit, als die Weihnachtsfeiern im alten ehrwürdigen Hotel „Ritter“ in Neckargemünd im Fürstensaal in gepflegter Atmosphäre zelebriert wurden, die Menschen zueinander freundlich waren und die Setter ihre Position im großen Rudel kannten.
Kein Hass, keine Heuchelei, keine falschen Taschenspielertricks auf Kosten der Allgemeinheit, eher Geben als Nehmen.
Ich sehe sie vor mir, die alten Kerle- und es gab einige wie Wolfgang- mit ihren Settern an der Leine, keine großen Aussteller, keine illustren Hundeführer, aber wahre ehrliche Menschen.
Doch manchmal kann das Leben grausam sein. Ein Brand, der das Hotel verwüstete, sein großes Herz und seine Vorliebe zum schönen Geschlecht wurden Wolfgang zum Verhängnis. Er fiel tief und er verzweifelte an seinem Schicksal. Plötzlich hatte er nur noch Marco, ein alter Herr und sein alter Hund zogen durch die Straßen von Neckargemünd und abends saßen sie im besten Restaurant des Ortes, ein gepflegter Herr mit einem Campari und ein ergrauter edler Setter mit einer Schüssel Filetreste, denn angeblich mochte er kein anderes Fleisch. Und irgendwann verschwanden beide und waren nicht mehr gesehen.
Uns blieben nur die Vorwürfe, nicht genug getan zu haben.
Und dennoch, wenn ich unsere Bisou sehe und sie mal ihre weiche Seite hervorkehrt, sehe ich die braunen Augen ihrer Ur-Urgroßmutter Murielle und bei unserer kleinen Jela kann ich, wenn ich will, ihren stolzen Urgroßvater Marco erkennen, der genau wie sie eigenwillig und stolz im Feld seine Runden drehte.
Vielleicht ist dies die einzige Legitimation züchterisch tätig gewesen zu sein: die Kontinuität dieser edlen Geschöpfe.
Und anders als im antiken Tantalusgeschlecht, wo man in den Enkeln die Sünden der Väter wieder erkennen kann, ist es bei unseren Hunden.
Wenn man über das Glück verfügt, auf eine ununterbrochene Zuchtlinie einiger Jahrzehnte zurückzublicken, lebt das große sanfte urwüchsige Erbe in den Enkeln und Urenkeln weiter.
Stella - oder wunderbare Gegensätze
Geboren im Abschlussjahr des Jahrzehnts, des Jahrhunderts und des Jahrtausends, als etwas Besonderes und dennoch voller Widersprüche. Das Millennium war schon im Vorfeld Grund für diverse Zukunftsspekulationen.
Der kleine, zackige hellleuchtende Stern Stella wird in zahlreichen Familienregistern als Mutter, Oma oder Uroma aufblinken, real, selbstbewusst und trotzig.
Alles, was in der Setterwelt Rang und Namen hatte, war in ihrem Stammbaum enthalten, deutliche Gegensätze schlechthin: die großen Engländer, stolz und majestätisch und die zähen Norweger, schnelle und begnadete Vorsteher.
Stella machte zeitlebens sich und der Welt das Leben nicht einfach. Sie war eine Herausforderung für alle Wesen, die sie umgaben.
Sie wurde in bescheidenen Verhältnissen in einer Zwingeranlage in einem Hinterhof geboren. Die zweite Station ihres Lebens stand kaum unter besseren Vorzeichen. Sie lebte in einer Welt der Kontraste: Liebe und Willkür. Sie lernte schnell, dass sie allein auf sich gestellt war und eigene Wege gehen musste. Das tat sie auch. Sie streifte durch Wiesen und Wälder und nahm sich manches Reh vor, so dass ihre Besitzerin fast täglich mit dem unliebsamen Besuch des Jagdpächters rechnen konnte.
Ihr war bald klar, dass man sich behaupten müsse, wenn nötig durch Knurren. So konnte man auch der älteren Halbschwester imponieren. Sie führte das Dasein einer rebellischen missverstandenen Jugendlichen.
Doch Frauchen hatte eine „pragmatische Lösung“ parat. Eines Abends erhielt ich ein Fax (Internet gab es noch nicht!): „Ich habe mich entschieden, mich von meinen Hunden zu trennen. Nimmst Du sie bei Dir auf?“ Ich faxte zurück : „Ja“. Es folgte : „Wann?“ Ich: „Sofort.“ Eine Stunde später waren beide Hunde in Bammental.
Unsere Absicht war, passende Familien für beide zu finden.
Mit dieser Intention war Stella scheinbar gar nicht einverstanden. Alle Vermittlungsversuche scheiterten, denn Stella weigerte sich, in einer anderen Familie irgendetwas zu fressen, also musste Stella in unsere Hundefamilie integriert werden, das fiel ihr weniger schwer als uns.
Sie hatte gelernt, sich durchzusetzen und Menschen in jeder Situation zu überlisten. Sie hatte in ihrem ersten Lebensjahr die Erfahrung gemacht, dass man Menschen braucht, um satt zu werden, dass man sich ihnen in bestimmten Situationen, wenn es nicht anders ging, unterordnen muss, soziale Bindungen zu Menschen und anderen Hunden aber überflüssig sind.
Bei diesem Hund wurde mir zum ersten Mal wirklich klar, wie schlimm es ist, wenn menschlicher Kontakt in der Welpenstube nicht vorhanden ist. Noch fataler ist aber eine fehlende Erziehung eines heranwachsenden Hundes oder das Ersetzen dieser durch vermeintliche Liebe in Kombination mit Willkür.
Als sie zum ersten Mal ohne Leine im freien Feld laufen durfte, wurde unser Ausflug in das Revier unseres Freundes Kurt zum Desaster. Mit einem schrillen Hetzlaut heftete sie sich an die Fersen von Rehen und Hasen. Rebhühner und Fasanen, Elstern, Krähen und sämtliches Vogelgetier retteten sich in Richtung Himmel.
Also begann eine Ausbildung, die Stella, aber auch mir einiges abverlangte. Das Ergebnis war ein ausgebildeter Jagdhund, den ein alter Leistungsrichter „den roten Teufel im Feld“ nannte.
Ihr Vorstehen war großartig, ihr Sekundieren - diese angewölfte Eigenschaft einen vorstehenden Hund nicht zu überlaufen oder zu stören - war genial. Dies alles nur beim Training. Sie war der Vorzeigehund für die Jagdhundeausbildung par excellence. Ihre gute Nase, ihr langes Nachziehen ließ manchen Betrachter jammern: „Mein Hund schafft das nie“. Doch es waren die anderen, die die Prüfungen bestanden, denn Stella konnte genau zwischen Prüfung und Ausstellung unterscheiden. Wenn sie beim Training ihre Schokoladenseite zeigte, wurde sie bei der Prüfung zur Furie Ihr war sofort durch die äußeren Umstände klar, dass während einer Prüfung keine Gefahr bestand für Untaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Solche Tage kostete sie aus, bis zur bitteren Neige.
Oft war der Genuss nur sehr kurz, denn oft schon wenige Minuten, nachdem sie das vorzustehende Wild hochgemacht hatte, erklang die Tröte des Richters und das hieß anleinen.
Ihr bevorzugter Trainingspartner war der English Setter Artus, ein Sohn unserer Navajo, ein schneller Jagdhund mit einer exzellenten Nase. Beim Training waren beide eine Augenweide: Artus, da schneller, kam zuerst zum Vorstehen, Stella sekundierte sofort auf jede Entfernung. Nahm er wieder seine Suche auf, tat sie das Gleiche bis zum nächsten Vorstehen. So auch bei einer Prüfung (beide konnten als Paar laufen, da es keine weiteren Meldungen in dieser Klasse gab). Artus stand vor, Stella sekundierte, die Richter kamen heran und äußerten sich lobend über das herrliche Bild. Ich war stolz und ließ mich zu einem: „So muss es sein!“ hinreißen. Der kurze Satz war noch nicht ausgesprochen, als Artus einsprang, das Rebhuhn hochflog und beide genüsslich hetzten. Der eine Richter sprach: „So muss es sein!“ Es erklang die Tröte: „Raus!“
Scheinbar hatte sie auch einige gnädige Tage, denn sie ließ sich manchmal, ganz selten, herab, mir eine Freude zu machen und bestand mit Bravour einzelne Prüfungen, dies besonders in der Zeit als sich ihr jugendliches Temperament etwas beruhigt hatte. Vielleicht wollte sie auch nach der Geburt ihres Sohnes Fire für diesen kein negatives Vorbild sein.
Ihr Sohn war der einzige Hund, den sie wirklich mochte und zeitlebens wie einen Welpen putzte. Sie gab ihm ihr ganzes Selbstbewusstsein mit und das war nicht wenig. Zu allen anderen Rüden verhielt sie sich abweisend und zeigte sich jeweils nur einen Tag freundlich, notgedrungen, um ihre Gene der Nachwelt zu hinterlassen, was ihr bei Fire auch gelang.
Sie war wahrscheinlich der schönste Jagdhund, den die Setterwelt zu verzeichnen hatte, denn äußerlich war sie ihr englischer Vater Frederik in Miniatur, mit den feinen Zügen ihres Großvaters Feu. Gott sei Dank erbte sie von ihrer norwegischen Verwandtschaft nur die jagdlichen Eigenschaften.
Im Alter wurde sie ruhiger, sie genoss es, in den Kanälen der Camargue ein Bad zu nehmen oder in den vielen Seen ausgiebig zu schwimmen. Nur manchmal packte sie der Ehrgeiz, wenn sie Fische „springen“ sah, die sie scheinbar mit Enten verwechselte; sie verfolgte sie weit in den See und ich war stets froh, wenn sie sich endlich zur Umkehr durch lautstarkes Rufen bewegen ließ.
Auch wirkliche Enten waren für sie eine Herausforderung. Bilder von der Rückfahrt aus Frankreich, ein reißender Fluss mit einer Entenschaar und dahinter Stella, verursachen mir heute noch Alpträume (Amy stand dabei und sah mich verzweifelt an). Doch oft gibt es für alles eine Wiederholung: Vor drei Wochen die gleiche Fahrt, der gleiche Fluss, doch nicht die gleichen Hunde. Diesmal war es Jela, die als Geist ihrer Urgroßmutter die Enten jagte und Bisou, die verblüfft wie ihre Urgroßmutter Amy zusah.
Stella liebte ganz besonders die warme Sonne der Camargue, ihr war es nie zu heiß und sie versuchte bereits im Januar im warmen Sand ein Bad zu nehmen, dies auch noch, als sie vom Alter gezeichnet uns auf unseren Strandspaziergänge begleitete.
Das letzte traurige Kapitel des Lebens unsere Hunde hinterlässt tiefe traurige Einschnitte voller Fragen, die einem nie jemand wird beantworten können. War die Entscheidung richtig, haben wir alles uns Mögliche getan?
Es lässt mich auch nachdenken über die Vergänglichkeit eines kraftvollen unbeschwerten Seins.
P.S.: Ich bewundere in dieser Hinsicht meine Frau die die schönen Stunden mit unseren Hunden weggeschlossen hat wie Juwelen, die man von Zeit zu Zeit ansehen kann um sich darüber freuen. Sie ist besonders im Alter für unsere Hunde da, dann, wenn sie uns am meisten brauchen.
Fire, das Original
Vor mir sitzt ein alter müder Mann und sieht mich an mit kindlichen Augen. Sein Kopf ist schmal geworden, gemeißelt aus Carrara-Marmor, ein Blick, der sagt, es ist Zeit zum Abschied nehmen.
Doch dann bäumt sich in ihm etwas auf, das pralle Leben von einst, das Feuer, le feu, Fire - und er versucht über die Felder zu jagen wie damals, doch seine Kräfte sind begrenzt. Er aber ist glücklich, dass er dabei ist.
Er steht im Garten der Taube vor, ich lobe ihn und er ist zufrieden und wenn er ein Mensch wäre, würde er sagen: „Noch gehöre ich nicht zum alten Eisen!“
Wir erleben bei Hunden die Vergänglichkeit in ihrer brutalsten Form, wie wir sie bei Menschen leider so häufig im Zeitraffer erkennen.
Das ist der Welpe, der mir vom Rücksitz auf der Fahrt nach Frankreich den Hut vom Kopf klauen wollte, dieser unbändige vitale Tollpatsch, ich sehe ihn im Kies liegen und wohlig die Sonne anblinzeln.
Das ist der Halbstarke, der als Muskelpaket durch die Altgrasfelder der Camargue jagt und in seiner ganzen Schönheit im Ausstellungsring posiert, der Unbändige mit zu viel Temperament.
Das ist der große Sieger, dieses Gebilde voller Harmonie mit der Bewegung eines jungen Araberhengstes, der Jagdhund, der mit erhobenem Haupt über die Weizenfelder fliegt und dann am Fasan punktet.
Er, die Herausforderung für mich, ich die Herausforderung für ihn, so ließ es sich leben und es wurde keinem langweilig. Hineingeboren in das Jahr 2003 mit dem heißesten Sommer in Deutschland (seit 1540). Die Winzer waren die Nutznießer dieser großen Hitze. Sie ernteten einen Jahrhundertjahrgang.
Wir hatten einen Setter, wie er noch nie dagewesen, einen „grand cru classé“ mit Registriernummer aus erlesener Abstammung mit allen großen Ausstellungs-und Jagdhunden im Stammbaum.
Fire, der Rüde, den alle Hündinnen achteten und sich von ihm decken ließen, weil sie seine Männlichkeit anerkannten.
Das ist der Schützling meiner Frau, die ihm heute noch mehr Liebe entgegenbringt als je zuvor.
(Sie genießt das Privileg, Setter nur zu lieben und zu verwöhnen und mich zurechtzuweisen, wenn ich meine Rolle als Rudelführer zu eng sehe, oder mir der Kragen platzt, wenn die Meute ausrastet.)
Das ist aber auch der Lümmel, der eine Aluverpackung mit Fischgeruch verschlang und beim Tierarzt im Hof mit einer Spritze veranlasst wurde, alles wieder herauszuwürgen. Der Teufelskerl, der bei einer Ausstellung die Lederleine zerfetzte um eine Hündin zu beglücken.
In seinem besten Mannesalter durfte er auch einmal auf einem Ausstellungsgelände eine Hündin belegen, danach war das Thema Vorführen vorbei, er brüllte jedes Mal, wenn er ein Ausstellungsgelände betrat, weil die Erinnerung in ihm hoch kam. Testosteron pur. Für solche Hunde ist der Wesenstest kein Schreck, sie sind der Schreck für jeden Wesensrichter.
Jetzt sitzt er der alte Patriarch im Kreise seiner Töchter und Enkeltöchter, genießt morgens und abends eine volle Futterschüssel und rebelliert, wenn sich die Zeiten verschieben. Wenn er französischen Käse beim Abendessen in die Nase bekommt, simuliert er Atembeschwerden, bis seine Gönnerin sich seiner erbarmt und etwas von ihrem Teller abgibt.
Seine Söhne sind ihm nicht ganz geheuer, da sie über sein Temperament verfügen und es gibt eben nur eine feurige Sonne.
Er liegt in der Frühlingsonne im Sand am Meer, meine Frau ist bei ihm, sie hat Tränen in den Augen, als ich vom Baden mit der nassen Meute ankomme. Ich versuche ruhig zu bleiben. „Alter steh auf“ sage ich mehr aus Ratlosigkeit, er aber hebt den Kopf, richtet sich auf und wir gehen langsam zum Auto.
Zu Hause angekommen fordert er schon wieder lautstark seine Futterschüssel. Noch einmal gut gegangen und deshalb auch Teil dieser Geschichte.
Das unabdingbare, erbarmungslose Ende –die Franzosen sagen: „ Il est parti“ (er ist gegangen)- wird verschlossen bleiben in meinem tiefsten Inneren, da nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Doch noch ist es nicht so weit. Ich hoffe, bis dahin wird es noch viel französischer Käse in seine Futterschüssel regnen!
P.S.: Ein Jahr nachdem ich diese Geschichte schrieb, ist auch er gegangen, still und leise, meine Hand auf seinen Augen.
Amy, der wunderbare Hund meiner Frau
Viele Erinnerungen verschmelzen in einem Tag. Wir machen unseren letzten Spaziergang. Sie ist glücklich, schnappt sich auf den Streuobstwiesen eine reife Birne und trägt sie nach Hause.
In unserem Garten vor dem Taubenhaus steht sie voller Spannung einer Taube vor, legt sich in ihren
Korb, um nie mehr aufzustehen.
Zwölf Jahre ausgelöscht. Jetzt ruht sie an einem geheimen Ort neben sechs Generationen Red Loves, still und nur mir bekannt.
Was tut sie wohl in ihrem Setterhimmel mit Denise, Captain, Lovely, Feu und Fleur, Marco und Murielle, Julius, Frederik, Stella, Fire und Hazel und natürlich auch mit der alten Bianca? Vielleicht jagen sie durch hohe Weizenfelder die Himmelrebhühner oder sie liegen friedlich in der Sonne und stellen sich vor, sie wären in der Camargue. Sind sie glücklich? Oder fehlen ihnen die Menschen trotzdem ein wenig? Besonders Amy brauchte uns so, mich als Promotor für ihr Bedürfnis nach regen Aktivitäten, meine Frau zum Schmusen.
Selbst wenn mich heute die Titel im Feld befremden - ich habe zu viele Hunde gesehen, die glücklich durch die Felder rasten, um nachher wieder Wochen im Zwinger zu darben - war ich damals von Amys Vorstehen verzaubert. Kaum einjährig bestand sie die Prüfung im Feld mit einem ausgezeichneten Punkt.
Amy war VDH-Champion und Internationaler Schönheitschampion, getreu der Familientradition, ein ungeschriebenes Gesetz, das ihre Urgroßmutter Lovely allen „Nachgeborenen“ auferlegte, da etwas Besonderes.
Ob das wichtig ist? Damals schon, heute nicht mehr.
Wichtiger als alle Titel waren ihr grandioses Wesen und ihre Klugheit.
Sie war mutiger als ihre Mutter und wollte in jedem Bereich mitmischen. Bei einem Wesenstest, den ich richtete – Amy stand mit meiner Frau außerhalb des Geländes, beide als stille Beobachter-versuchte ich mit einer Rehdecke (noch nicht gegerbte Rehhaut) den Prüflingen Wildgeruch zu simulieren. Es kam es zu Hysterie unter den Teilnehmern, da dieser Geruch die Hunde erschrecke. Amy zwängte sich plötzlich durch die Absperrung, schnappte sich die Decke und brachte sie meiner Frau. Viele verdutzte und auch verschämte Gesichter, doch die Aufregung war vorbei.
Was sie tat, tat sie gerne und aus freien Stücken. Das Federwild der Camargue war ihre Passion, was sie aber hasste, war Zwang. Sie schwamm wie ein Fisch durch die vielen Kanäle, die Aigues Mortes einsäumen, doch Apportieren war Pflicht, sie aber liebte die Kür und lehnte meine Anweisungen, die Dummy-Ente aus dem Wasser zu holen, strikt ab. Sie tat dies nicht mit ängstlichen Gebärden, wie man sie des Öfteren bei Hunden, die durch Zwangsapport gefügig gemacht wurden, sehen kann, nein, sie rebellierte lautstark, bis zum Bauch im Wasser stehend, indem sie mich anmaulte.
Als sie diese Trotzphase überwunden hatte, machte ihr diese Tätigkeit richtig Spaß.
Einige Jahre später fischte sie die Strohhüte der Damen, die der Mistral von den Touristendampfern ins Wasser wehte, aus dem Kanal heraus. Strömungen und Wellen machten ihr nichts aus.
Mit dem Alter wurde sie noch sanfter, sie liebte die Ruhe und die Nähe meiner Frau, unsere ausgiebigen Fahrradtouren die Kanäle entlang und natürlich die Abkühlungen im frischen Nass.
Sie schlug den Weg ein, der typisch für die meisten unserer Hunde ist: Wenn sie jung sind, stürzen sie sich mit mir in die grüne Welt voller Abenteuer, wenn sie alt sind, suchen sie die Geborgenheit und die Hände meiner Frau, so als wollten sie sagen: „Es ist vollbracht.“
Mir fallen die Verse von Rilke ein: „Herr es ist Zeit, der Sommer war sehr lang, gib mir noch ein Paar reife Tage.“ Diese Tage genießen unsere Hunde ganz besonders und besonders Amy hat jeden davon genossen. Sie hat mit uns den Süden bereist auf den Klippen von La Grande Motte posiert. Sie war immer gerne da, wo auch wir waren.
Und sie lebt weiter in ihrer Tochter, der Kleinen Amy, diese erfolgreiche Hündin, die die Dynastie der „Red Rising Suns“ begründete. Und ihren Söhnen Jeff, Campino, den beiden Opernstars Carlos und Rodriguez oder des von seiner Familie vielgeliebten Reitbegleiters Derry (von uns wegen seiner unvergleichlichen Bewegung als Welpe Elvis genannt), der bei einem Reitunfall seines Herrn treu bei diesem aushielt bis der Krankenwagen kam.
Wenn ich die fragenden Augen unserer kleinen Bisou sehe, muss ich an ihre Urgroßmutter Amy denken und meiner Frau kommen auch heute noch sofort die Tränen.
Wulfi, der kleine Wolf zum Blumenpflücken
Im Jahr 2004 sind in Europa Fürstenhochzeiten in.
Wir haben für unsere Setterdamen einen Kronprinz in Holland gefunden, eher in Anlehnung an die königlichen Verpaarungssitten des Mittelalters.
Die modernen Aristokratie ist heute vom Prinzip der Genpoolerweiterung - oder nennen wir es Liebe- beseelt und das ist gut so; und war auch dringend nötig.
Er sollte so werden, wie alle Red Loves, ein Familienhund, der in seinem Wesen die Ursprünge des Setters erkennen lässt. Wir müssen die Tradition in unseren Hunden bewahren: ein schöner Vorstehhund, nicht mehr und nicht weniger.
Schön war Wulfi, mit den jagdlichen Anlagen sah es weniger rosig aus. Wir hatten sogar, in der Hoffnung in ihm die „Feldtugenden“ der Red Loves wiederzufinden, natürlich mit Zustimmung des Züchters, diesen Namen mit in seinen Stammbaum eingeschmuggelt: Red Suits You Are Red Love. Alles vergebens. Als Junghund war sein Interesse mäßig, im Alter war seine Jagdleidenschaft gleich Null, daher auch der bösartige Kommentar aus unserem damaligen Umfeld: „Wulfi will lieber Blumen pflücken.“ Leider stimmte es.
Dabei sollte er ein „Wulf“ (ein echter Rüde, ein Wolf) werden, wie ein erfahrener niederländischer Züchter mir versicherte. Wulfi kam, wie später auch unsere Bea, aus den Niederlanden. Vor manchen deutsch- holländischen Fußballspielen mussten beide zum Spaß in einem orangefarbenen T-Shirt posieren. Natürlich schickten wir die Fotos per Mail an unsere Bekannten in den Niederlanden.
Wulfi wuchs in einer heilen Welt auf, in einem kleinen Ort an der Nordsee. Freundlichkeit, Gastfreundschaft und grenzenlose Liebe für diese Rasse zeichnen seine Züchter aus.
Nachdem wir aus den Fotos, die man uns, als die Welpen geboren waren, per Mail schickte, nicht schlau wurden, traten wir die Reise nach Holland an, elektrisiert von diesem herrlichen Stammbaum, der so gut in unsere Zuchtlinie passte.
Wir waren überrascht am Tag unserer Ankunft fast das gesamte Züchtergremium der Niederlande vorzufinden. Bar- Tische wurden aufgestellt, jeder Anwesende erhielt einen Stift und einen Schreibblock und sollte die Welpen beurteilen. „Nimm diesen, der wird ein richtiger „Wulf“, raunte mir ein freundlicher Mann mit Hut zu, dabei meinte er „Rüde“. Vorauf meine Frau antwortete: „Na, im Moment ist wohl eher noch ein Wulfi“. So kam er zu seinem Rufnamen.
Meine Frau und ich, beide auch nicht ohne Erfahrung in der Beurteilung von Welpen, waren beeindruckt, kamen aber zum gleichen Entschluss wie der wohlwollende Herr.
Der Wahrheit halber muss gesagt werden, dass Wulfi von den Anwesenden auf Platz zwei, was das auch immer heißen mochte, eingestuft wurde. Wir sahen die vermeintliche Nummer Eins des Öfteren in den folgenden Jahren und ich war über unsere Entscheidung glücklich.
Da es in dem kleinen Ort kein Hotel, gab verbrachten wir die Nacht in einem Gästezimmer auf einem Bauernhof mit einem Teich mit Gänse- und Entengeschnatter. An Schlaf war nicht zu denken, denn durch die Straßenbeleuchtung waren die Tierchen auch nachtaktiv. Mitten in der Nacht tat meine Frau dann ihren Wunsch nach Entenbratenam nächsten Wochenende kund.
Wulfi verschlief im Auto die Einreise in Deutschland auf dem Schoß meiner Frau. Zu Hause wurde er von Fire ziemlich ungnädig empfangen. Er gewöhnte sich schnell an Fires rauhen Ton,die deutsche Luft und das deutsche Futter.
Die Ausstellungsrichter hatten an Wulfi „einen Narren gefressen“, er gewann und gewann und die Konkurrenz ärgerte sich.
Und dann kam der große Tag: Wulfi auf der Europasiegerschau! Unsere Chancen waren gleich Null. Ich war müde, die Fahrt war anstrengend. Alles, was Rang und Namen hatte war vertreten.
Unsere Fangemeinde bestand aus einem befreundeten Ehepaar und Wulfis Züchter, die aus Holland anreisten, um das Spektakel mit zu verfolgen. Die restlichen Aussteller konnten wesentlich mehr aufbieten.
Was unsere Chance wesentlich herabsetzte, war die Präsenz eines aufgehenden Sterns aus England. Eine exaltierte Möchtegern-Züchterin verkündete uns aufgeregt dessen Anwesenheit: „Der ist mit Stulpen für die Beine und mit Ohrschützer ausgestattet, damit die Haare nicht in Unordnung kommen!“
Ich sah mir dezent die Konkurrenz an und meine Begeisterung hielt sich in Grenzen: Haare, Haare und nichts darunter.
Wir betraten den Ring, Wulfi gewann seine Klasse und ich dachte mir: „Wenigstens ist unsere Ehre gerettet.“ Und dann kam der Augenblick des Aufeinandertreffens. Die Stulpen und restlichen Accessoires hatte der Star abgelegt und steppte durch den Ring. Die forsche Richterin überlegte nicht lange und entschied sich für Wulfi, den kleinen niederländischen Wolf.
Ich muss gestehen, dass es auch für uns etwas Besonderes war, doch Wulfis Züchter war einer Ohnmacht nahe .Mit tonloser Stimme sagte er: „Das ist einer der schönsten Tage in meinem Leben“ und verschwand.
Als er wieder kam, bot ich ihm an, Wulfi im Ehrenring vorzuführen. Überrascht und stolz nahm er mein Angebot an und ich hatte die Möglichkeit, diesen ruhigen Hund durch den Ring „fliegen“ zu sehen, stolz wie ein König.
Heute erscheint mir diese damalige Hysterie ganz schön übertrieben. Der wirkliche Wert eines Hundes liegt in seinem Wesen; es ist das, was ihn zu unserem Partner im Alltag macht.
Wulfi war durch seine ruhige Art als Rüde begehrt, durch seinen Charme gelang es ihm, ohne großes Theater die Hündinnen zu überzeugen.
Sein Glanzstück waren unsere F-chen (=F- Wurf),wie eine Bekannte zu sagen pflegt. Als Enkelkinder von Fire (mütterlicherseits) führen sie den Namen ihres Großvaters mit.
Alle jagdlichen Tugenden, die sich bei Wulfi so zurückhielten, sprudeln aus manchen seiner Kinder hervor. Firefenja, diese Hündin voller Eleganz, die allein schon mich zu dem Ausspruch verleiten kann „Mehr geht nicht!“, ist nur eines von vielen seiner Kinder mit perfekten Anlagen.
Ab zehn setzen ihm Krankheiten zu, sein Gesicht war weiß, wie das eines alten klugen Mannes.
Von seiner Couch überblickte er das Wohnzimmer und war dankbar für jedes gute Wort und jede Streicheleinheit, die ihm reichlich zu Teil wurden, bis er die Augen schloss.
Hazel, der Diener seines schwedischen Königs
Unsere Reise nach Schweden war wichtig für mich, sie hat mir die Augen geöffnet und ich war endlich in der Lage, Hazel zu verstehen.
Diese Freundlichkeit in Hazels Augen, sie kommt von den Menschen, die ihn in seiner Kindheit geprägt haben.
Es sind ehrliche Menschen und man merkt sofort, dass sie nicht den ganzen Ballast der Geschichte mit sich herum tragen, selbstbewusst und schön, besonders die Frauen.
Ich würde so gern diese Sprache sprechen, die diesem großen Setterjungen verständlich gemacht hat, dass der beste Platz auf Erden auf Mutters Sofa ist.
Diesen hat er auch nach einigen Jahren deutscher Erziehung schnell wieder gefunden und das mühsam in einer fremden Kultur erlernte Prinzip, dass die Couch eigentlich den Menschen gehört, sofort wieder vergessen. Auch die Spiegeleier, die ihm Mutter Anne zu Frühstück briet, waren immer noch die gleichen.
Ich habe wieder den Reiz der Langsamkeit entdeckt, und auf diesen langen Autobahnen mit Tempo 80 bis 100kmh mir wieder antrainiert. Es ist so herrlich, auch auf der Autobahn noch etwas von dieser Welt mitzubekommen. Enttäuscht war nur meine Frau, da sie nur die vielen Elchschilder fotografieren konnte, aber nie einen Elch in freier Natur.
Manchmal bewegt sich gar nichts, selbst die Schnaken in Tommys Garten stechen langsamer als die in Deutschland oder Frankreich. Alles erstarrt zum Gemälde, wie der Anblick der drei majestätischen Rüden Hazel, sein Vater Balthazar und sein Bruder Seven auf einer schwedischen Holzterrasse. Sie stehen ohne Neid und Missgunst nebeneinander. Die drei Könige aus dem Abendland. Welch ein Anblick!
Hazel sollte sein Land kennen lernen und wir wollten das auch.
Wir genossen mit unseren Hunden den Sonnenuntergang an den zahlreichen schwedischen Seen und streiften durch für uns unberührte Wälder.
Wir ließen uns von Hazels Züchter Tommy überreden, in Uppsala eine große Ausstellung zu besuchen, so nur zum Spaß, wie er meinte. Balthazar, Seven und der alte Freddy waren dabei und plötzlich war der Showzirkus zweitrangig. Es war ein Familienfest und Hazel gewann sogar seine Klasse.
Wir fuhren nach Öland zur königlichen Sommerresidenz und Hazel suchte emsig die umliegenden Wiesen nach Wild ab. Wahrscheinlich wollte er für Marion den langersehnten Elch finden, doch er fand nur einen Teil eines Elchgeweihs. Die großen Tiere, die er in Unkenntnis seiner Heimat dafür hielt, waren die Hausrinder des Königs.
Bevor wir weiterfuhren, bot ich ihm an, hier im Dienste seines Königs zu bleiben, wie es sich für einen richtigen Schweden gehört.
Dieser Vorschlag schien ihm nicht geheuer. Die Autotür stand offen und der „Diener seines Königs“ nahm sofort seinen Platz ein. Für mich wieder einmal ein Beleg für meine These, dass die Hunde und speziell die Setter die Sprache der Menschen verstehen, leider fehlt ihnen die Gabe uns zu antworten und das ist gut so, vor allem für uns Menschen.
Und dennoch sind Hazels Lehrjahre in Deutschland nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. In seinen Adern fließt das Blut seiner irischen Vorfahren und blitzschnell wandelt sich die Statik in Dynamik. Seiner feinen Nase entging gar nichts. Es müssen nicht unbedingt irische Moorhühner sein. Ein Hauch von Federwildgeruch verwandelte ihn zur deutschen Maschine, schnell, sicher und präzise. Zu unserer Überraschung gab es im Umfeld des Schlosses sogar Rebhühner.
Von Schweden ging es wieder nach Frankreich und Hazel streifte glücklich durch die Auenwälder und brachte mir so manches kranke Kaninchen, lebend versteht sich, denn er war kein „Killer“, sondern ein Vorstehhund. Wahrscheinlich wollte er, dass ich diesen erbärmlichen Geschöpfen, die an Myxomatose erkrankt waren, helfe. Welch schreckliches Verbrechen des Menschen an diesen armen Tieren.
In der Vor-und Nachsaison gehört der Strand unseren Hunden und natürlich den anderen bellenden Geschöpfen der Umgebung.
Langweilig, denn immer der gleiche Trott - sollte man meinen. Hazel war aber erfinderisch.
Er fand jeden Ball, den Kinder irgendwann am Strand vergessen hatten, oder auch solche, die das Meer nach Wochen wieder ans Ufer spülte, und er trug sie tagelang stolz durch die Gegend. Fatal wurde es nur, wenn an sonnigen Herbsttagen Kinder sich zum Fußballspiel am Strand einfanden. Jetzt war für Hazel „ Leinenzwang“ angesagt, denn er griff sich schneller als man es für möglich hielt den Ball und verschwand in den Dünen. Den verdutzten Kindern fiel die Aufgabe zu, ihm den Ball wieder abzubetteln.
An warmen Tagen verkroch er sich in einem alten Boot, das vor Jahren hier „vergessen“ wurde und das der Wind mit feuchtem Sand gefüllt hatte, und döste vor sich hin.
Ausstellungen waren für ihn eine Ansammlung von freundlichen Menschen und Hunden. Anders konnte es doch nach seiner“ Weltanschauung“ gar nicht sein. Die bösen Worte seiner Neider überhörte er einfach. Später machte ihn das Posieren müde, zwischendurch drehte er aber richtig auf und zeigte es seinen Konkurrenten. Wahrscheinlich nur, um mir eine Freude zu machen.
Und dann kam die Ausstellung in Werl. Die Einladung von Fires großem Sohn Miles konnten wir nicht ausschlagen, also fuhren wir hin. Wieder ein Fest, viele bekannte Hunde- und Menschengesichter. Doch diesmal war alles anders.
Hazel ließ sich seine Krankheit nicht anmerken, er war glücklich.
Wir wollten dabei sein. Noch einmal vorne zu stehen, kam uns nicht in den Sinn.
Als die Richterin sich aber für Hazel entschied und er stolz seine Ehrenrunde drehte, war ich sehr traurig.
Wir verließen die Halle. Auf einer grünen Wiese kam er mir mit erhobenen Haupt und wehendem Haar auf mich zu. Ein Lauf in die Ewigkeit.
So stolz und so erhaben kommt er mir heute noch in meinen Erinnerungen entgegen.
P.S.:
Monate lang haben wir um das leere alte Boot am Strand einen Bogen gemacht.
Vor wenigen Tagen haben wir es gewagt, uns wieder der Stelle zu nähern.
Bisou lief freudig auf das Boot zu und nahm es sofort in Beschlag. Und ich bin endlich dazu fähig, die Geschichte zu Ende zu schreiben.
Bea, das Oraniermädchen
Bea, ein Name, der eher zu einer recht unkomplizierten und charmanten Frau passen würde.
Vom Vater(Fire) hat sie, frei nach Goethe gesprochen, die Statur von ihrer niederländischen Mutter die „Frohnatur“ - das unbeschwerte Wesen.
Um solch ein Geschöpf und noch dazu 15 Geschwisterchen zu gestalten, hat sich der „Setterschöpfer“ Zeit gelassen.
Beim ersten „Versuch“ lagen Vater Fire und Mutter Zinzi eine Woche friedlich zusammen auf der Couch, um dann im zweiten Anlauf prompt „zuzuschlagen“ .sechzehnfach!
Mit acht Wochen besuchten wir mit Vater Fire die niederländischen Prachtkinder.
In den Niederlanden war, bedingt durch den deutschen Vater, das Interesse an dieser Verbindung gering und deshalb war die erste Frage der Züchterin : „Aber Sie nehmen doch einen?“.
Natürlich sagten wir ja. Ein einwandfreier, gesunder Wurf in dieser Größe ist eine Seltenheit und spricht für gute Erbanlagen der Eltern.
Mir fiel eine Kleine mit frechem Gesicht auf, die besonders an dem munteren Federvieh, das in einem Hühnerstall unweit des Welpenauslauf gackerte, sehr interessiert schien. Als sich plötzlich das kleine Ding in eine elegante „Vorstehpose warf“, rief ich meiner Frau zu: „Schnapp Dir diese, dass wir sie nicht aus den Augen verlieren!“
Nun hatten wir sie, dieses kleine Hündchen mit dem poetischen Namen: „ Be my Red Love oft he Autum Sun“, was eher an ein orientalisches Märchen erinnert. Wir nannten sie kurz Bea, ein ehrlicher Name ohne Verschnörkelungen, so ehrlich wie sie ihr ganzes Leben war.
Die Heimfahrt verlief unkompliziert, da sie stundenlang auf dem Schoß meiner Frau schlief, natürlich abgesehen von dem kleinen Spaziergang auf einer Raststätte, wo sie auf einer Wiese mir brav hinterherhoppelte, so als hätte sie nichts anderes gekannt.
Die „frühkindliche“ Erziehung übernahm meine Frau. Bea lernte sehr schnell zwischen ihren Spielzeugen zu unterscheiden. „Such den „Wackeldackel“ und sie brachte ihn aus der letzten Ecke des Wohnzimmers.“ Bring den blauen Delphin“, auch hier wusste sie sofort, was zu tun ist. Bea konnte so sechs Spielsachen voneinander unterscheiden und bei all diesen Suchspielchen hatte sie großen Spaß.
Es gibt nichts Schlimmeres für einen jungen Hund als geistige Verblödung. Manch ein Welpe ist dazu verurteilt auf der Couch dahin zu vegetieren. War Bea einmal nicht beschäftigt, trug sie all ihre Spielsachen in ihrem Korb zusammen, praktisch als Aufforderung, dass es losgehen könnte.
Im „Menschenrudel“ hatte sie schnell ihren Platz gefunden. Bei den Vierbeiner war es schwieriger, denn hier residierte ihre humorlose Oma Stella. Ein Freundschaftsangebot der Kleinen ignorierte diese einfach. Das kleine Ding musste doch zuerst mal zu rechtgewiesen werden und darin war Stella Spitze.
Sie tat es ziemlich vehement ohne jeden „pädagogischen Ansatz“ eben wie es ihr Stil war.
Der erste Eindruck hatte an Beas Ohr bleibende Spuren hinterlassen, dies aber hat ihr das kleine Hündchen nie verziehen.
Wenn ich in späteren Jahren Stella mal wegen einer der vielen Ausraster zurechtwies, stand Bea neben mir, einsatzbereit mit fragenden Augen: “Darf ich das tun?“ Natürlich wies ich auch sie zurecht, was sie sofort akzeptierte. Sie ist friedlich geblieben und war nie darauf erpicht Streit zu suchen. Die Rolle des Rudelführers überließ sie gern ihrem Vater Fire, natürlich bis zu dem Zeitpunkt als er uns verließ und nun plötzlich forderte sie bei den anderen ihren Respekt ein, natürlich friedlich und selbstbewusst wie sie immer war.
Bei so viel Begeisterung für Setter könnte man annehmen, dass Hunde allein unser Leben ausmachen. Weit verfehlt. Es stimmt, Hunde sind ein wunderbares Hobby, das uns schon viele Jahre begleitet und Setter sind ein Teil unseres Lebens. Die Quintessenz unseres Daseins aber sind unsere Kinder.
Und es ist gut, dass es dabei keinen Widerspruch gibt.
Unsere Tochter ist oft als Baby auf dem Wohnzimmerteppich auf dem „Haudegen“ Captain eingeschlafen, sie hat mir auf meinem Arm beim Richten von Ausstellungen assistiert, unser Sohn versteht (auch berufsbedingt) mehr von Vererbung als die meisten Fachleute, die ich kenne.
Und wenn beide sagen, dass ein Hund in Ordnung ist, dann stimmt das.
Und so kam es, wie es kommen musste: Zuerst war Bea im Haus meiner Tochter zu Besuch, dann in Urlaub und dann entschied meine Tochter, dass dies ein Dauerzustand werden sollte.
Ich habe ihr selten widersprochen und wusste, dass ich, wenn ich es versucht hätte, chancenlos gewesen wäre.
Bea hatte nun als Eizelhund und Mittelpunkt ein herrliches Leben. Keine Konflikte mit den „Gören“ Jela und Bisou“ und überall dabei: Urlaub, Lehrerausflüge, Restaurantbesuche und mehr.
Im Alter ließ ihr Augenlicht nach und es kamen auch andere Beschwerden dazu.
Sie steckte alles weg und freute sich als unsere Enkeltochter geboren wurde. Beide waren ein ausgezeichnetes Team. Beas Platz war stets in der Nähe des Hochstuhls, denn Paula teilte mit ihr manch einen Leckerbissen, den sie dezent über den Tischrand gleiten ließ.
Später genoss die alte Hundedame Paulas Liebkosungen und sie führten sich gegenseitig an der Leine spazieren. Zuerst gab Bea den Ton an, dann war es Paula.
Mit fast vierzehn Jahren war Bea bereit zu gehen. Sie war wieder bei uns zu Hause, doch meine Tochter ließ es sich nicht nehmen ihr vorher ihren Sohn Frederick zu zeigen, der erst einige Tage alt war.
Und wieder Trauer und wieder so viele schöne Erinnerungen.
R. Didicher
P.S.:
Mehr als ein halbes Jahr sind bereits vergangen. Es braucht viel Zeit und Abstand, um diese Gedanken niederzuschreiben. Jetzt war ich dazu bereit.
Und wenn ich Beas Tochter sehe, die bei einer Freundin lebt und die sich bei uns auch zu Hause fühlt, sehe ich in Fenja Passion und die Intelligenz, die ihre Mutter an sie weitergegeben hat und das ist ein schönes Gefühl.
Ihre Tochter Favour, die ebenfalls bei Freunden lebt und die wir vor einiger Zeit besuchten, hat noch immer den gelassenen Blick und den Charme, den sie als Baby hatte.
Der dritte im Bunde, der Freunde beschäftigt, ist Eddy und er tut es mit Inbrunst.
Fenja
Favour
Eddy